Das Radio-Sinfonieorchester Frankfurt unter Paavo Järvi, die Wiener Philharmoniker mit Valery Gergiev
(Peter Vujica, DER STANDARD / 25.5.2009)
Wien - Meinte man sich am Samstagnachmittag mit der ersten Symphonie von Jean Sibelius und mit Strawinskys Feuervogel-Suite in der Version der Wiener Philharmoniker unter Valery Gergiev schon mit schweren Orchesterschinken hinreichend bedient, so blieb den verwegenen Nimmersatten immer noch die Möglichkeit, sich im Konzert der Jeunesse Anton Bruckners Fünfte, gespielt vom Radio-Sinfonieorchester Frankfurt unter seinem Chefdirigenten Paavo Järvi, einzuverleiben.
Und weil unverhofft eben doch öfter kommt, als man glaubt, hat diese, was ihre Interpreten anlangt, weniger prominent ausgeschilderte Wiedergabe den kulinarischen Luxus der beiden nachmittäglichen Darbietungen weit übertroffen. Nicht weil dieser Bruckner noch luxuriöser angelegt gewesen wäre. Vielmehr war gerade das Gegenteil der Fall. Im Verlauf dieser bestechend klaren, wenn man möchte: aufgeklärten Darstellung dieser vielfach deutbaren Partitur meinte man, der Geist von Hans Rosbaud, der dieses Orchester 1929 gegründet hat, sei erwacht.
Jeglicher Mystizismus und alle Religiosität, die bei Bruckner zweifellos ihre Berechtigung haben, wurden von Paavo Järvi, diesem aus Estland stammenden Senkrechtstarter, der im kommenden Jahr auch als Nachfolger von Christoph Eschenbach die Leitung des Orchestre de Paris übernehmen wird, auf die hinteren Ränge verwiesen. Was vor staunenden Ohren entstand, glich eher einem akustischen Computertomogramm. Es ging um musikalische Fakten. Es handelte sich um eine Werkanalyse im besten Sinn.
Dies alles kann nur mit besten Instrumentalisten gelingen. Natürlich vermisst man die österreichische Verbindlichkeit der Streicher ein wenig. Doch man wird durch das makellos klingende Blech und die Präzision der Holzbläser vollends entschädigt. Hier hatte der in Zusammenhang mit Bruckner geäußerte Ausspruch von Brahms vom "armen, verrückten Menschen, den die Pfaffen in St. Florian auf dem Gewissen haben", seine Berechtigung verloren.
Monumentales Finale Bruckner erstand in seiner ganzen intellektuellen Größe, und Wilhelm Furtwänglers schwärmerischer Ausspruch, beim Schluss von Bruckners Fünfter handle es sich um das "monumentalste Finale der Weltgeschichte", wurde in diesem von einem jungen Publikum hell bejubelten Konzert aufs Glaubwürdigste bestätigt.
Auch Jean Sibelius ist vor allem durch Theodor Adornos 1937 erschienene Glosse, in der er meinte, seine Musik stünde nicht auf der Höhe seiner Zeit und er könne überdies keinen Kontrapunkt schreiben und keinen Choral harmonisieren, bei sich elitär wähnenden Beobachtern nach wie vor in Misskredit.
Vielleicht hat die vitale Aufführung seiner ersten Symphonie durch die Wiener Philharmoniker unter Gergiev ein bisschen zur Korrektur des Sibelius-Bildes beigetragen. Kein Geringerer als Wolfgang Rihm meint nämlich: "Heute wird Sibelius als Komponist hochaktueller Verlaufsformen und als Protagonist zellularen Komponierens gefeiert." Wenngleich in diesem noch stark von Tschaikowsky beeinflussten Werk von derlei stilistischen Vorzügen noch nicht viel zu bemerken ist.
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