JÄRVI/GERSTEIN: GERSHWIN/BERNSTEIN/HINDEMITH
Acrimboldis World
Adrian Thomas Mai
19.06.2022
Gershwins „Concerto in F“ ist immer einen Besuch im Konzertsaal wert – zusammen mit Bernsteins drei Tanzepisoden aus „On the Town“ und Hindemiths „Sinfonische Metamorphosen“ waren die Extra-Konzerte in der Tonhalle Zürich schlichtweg ein herrlich rhythmisches Sommererlebnis, den Begriff bombastisch kann man dann wohl erst kommende Woche zu Orffs „Carmina Burana“ verwenden…
Gershwins grossartiges Concerto – zuletzt 2019 gehört unter Krzysztof Urbański mit Jean-Yves Thibaudet am Flügel – war eigentlich mit Igor Levit geplant, der den letzten Abend krankheitsbedingt absagen musste und so konnte man kurzfristig KIRILL GERSTEIN engagieren, der – wie Ilona Schmiel in ihrer Ansage erwähnte – am Tag zuvor noch in Kuba unterwegs war. Einem wahrscheinlichen Jetlag zum Trotz spielte Gerstein dieses dreisätzige Konzert (wohl nur mit kurzen Verständigungsproben) mit einer Mischung aus fast schon bluesiger Leichtigkeit und Entspanntheit, als wären PAAVO JÄRVI und das TONHALLE ORCHESTER ZÜRICH zusammen mit dem Solisten Gerstein ein eingespieltes Team. Die häufigen Blickwechsel zwischen Järvi und Gerstein zeugten von einer grossen Lust am gemeinsamen musizieren – die Enttäuschung über Levits Absage war natürlich gross, aber Gerstein, der häufiger mit Gershwins Musik unterwegs ist (und diese auch eingespielt hat), machte das Konzert ebenfalls zum Ereignis – eine wunderbare Symbiose von Jazz und klassischen Elementen. Und neben Gerstein glänzten in diesem Konzert die Blechbläser:innen des Orchesters (endlich eine Frau in der Truppe! Oder doch nur als zugezogener Gast?) sowie hervorragende weitere Solisten u.a. SABINE POYÉ-MOREL (Flöte, auch später bei Hindemith!) und HEINZ SAURER mit seinen tollen Trompeten-Soli!
George Gershwin: Concerte in F (Allegro, Adagio – Andante con moto, Allegro agitato) – Leonard Bernstein: Drei Tanzepisoden aus „On the Town“ (The Great Lover: Allegro pesante/Lonely Town (Pas de Deux)/Times Square: 1944 – Paul Hindemith: Sinfonische Metamorphosen nach Themen von Carl Maria von Weber: Allegro/Turandot, Scherzo/Andantino/Marsch)
Für Gerstein war der tosende Applaus sicherlich sehr emotional, hat er doch im September 2000 unter David Zinman in der Tonhalle Zürich debütiert. Im Anschluss und fast nicht mehr zu toppen, folgen mit Bernsteins Tanzepisoden aus „On the Town“ heitere temporeiche Musical-Klänge, entstanden zu einer Zeit, die 1944 alles andere als heiter war. Beim Zuhören sieht man förmlich die grossen Tanznummern der Matrosen in den Strassen New Yorks beim Landgang vor sich. Herrlich der typische Bernstein-Bombast mit seinen schnellen Rhythmus- und Tempowechseln. Als Abschluss dann ein interessanter Programmpunkt mit Hindemiths „symphonische Metamorphosen“, selten im Konzertsaal zu hören, aber nach den beiden vorangegangenen Programmpunkten dramaturgisch etwas unglücklich auf das Konzertende gesetzt – Gershwin und Bernstein ist einfach mit Hindemith nicht zu toppen. Zwar setzt der Marsch einen guten Schlusspunkt, aber mit den temporeichen rhythmischen Musiken der vorangegangenen Stücke können diese bearbeiteten Themen Carl Maria von Webers keinesfalls mithalten. Hindemiths Musik, zur selben Zeit entstanden wie „On the Town“ und gut 20 Jahre nach Gershwins Concerto in F, klingt nach den poppigen frischen Werken sowas von hausbacken und langweilig laut. Selten jedoch habe ich Paavo Järvi durch das ganze Konzert so vernügt, ja fast schon mittträllernd am Pult erlebt. Liegt wohl an den Summervibes. Herrliches Konzert.
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