CONCERT REVIEW: Frankfurt Radio, Anderszewski



Frankfurter Rundschau, February 11, 2008


Polnisch akzentuiert

Rasant bis kühl: Das HR-Sinfoniekonzert mit Paavo Järvi in der Alten Oper Frankfurt

Paavo Järvi, der höchst vielseitige estnische Chefdirigent der HR-Sinfoniker, dirigierte im jüngsten Abonnementskonzert in der Alten Oper ein polnisch akzentuiertes Programm. Dabei war Gelegenheit zu einer geradezu spektakulären (Wieder-)
Begegnung mit Witold Lutoslawskis brillantem "Konzert für Orchester" von 1954. Von der Furie des Verschwindens erfasst scheint längst auch der bald rabiate, bald feinsinnig-elaborierte Klangstil der polnischen Avantgarde, die sich vor gut 40 Jahren als ästhetischer Widerpart zum Ostblock-"Realismus" formierte und ebenso nationalkulturelle Popularität erreichte wie weltweite Aufmerksamkeit.
Führend daran beteiligte sich Lutoslwaski (1913-1994) mit Konzeptionen, die den "gelenkten Zufall" einbegriffen; wenig ist inzwischen von diesen intelligenten Formspielen noch in Erinnerung, und erst recht die konzilianteren späten Sinfonien setzten sich kaum durch. Wahrscheinlich bleibt das "Konzert für Orchester" das Leuchtendste aus diesem Oeuvre, ein Werk des Aufbruchs, zugleich ein streng und meisterlich geformtes Stück. Hommage an Béla Bartók Der Titel erinnert natürlich an Béla Bartóks "Konzert für Orchester", und tatsächlich handelt es sich um eine bewusste Hommage an den 1945 in Amerika (nahezu verarmt) verstorbenen ungarischen Kollegen. Beim Komponieren könnte Lutoslawski noch einmal an die Möglichkeit gedacht haben, Folklore und Konstruktivismus auf höchster Ebene zu synthetisieren. Die Bartók-nahen Themen (darunter im Finale ein Choral) werden in eine tonal extrem erweiterte Klanglandschaft versetzt. Der Schlusssatz mit seinen mehrmaligen Steigerungs-Anläufen und Tempobeschleunigungen gehört zum Rasantesten der gesamten Orchesterliteratur. Mit sichtlicher Freude an der orchestralen Virtuosität (einem raffiniert dialektischen Spiel zwischen Entfesselungen und formstrengem Kalkül) brachten Järvi und die vorzüglich einstudierten HR-Musiker diese hörenswerte, ja elektrisierende Musik zum Publikumserfolg. Vor der Pause erklang die nicht minder mitreißende Sinfonie concertante von Karol Szymanowski, Exempel eines urban-impressionistisch geprägten Personalstils von großer Ausdruckskraft und Klangmagie. Den unkonventionell gestalteten Klaviersolopart spielte in bester Abstimmung mit dem sublim-aufgelösten Orchesteranteil der polnische Pianist Piotr Anderszewski. Den etwas kühl neoklassizistischen Konzerteinstieg bildete Strawinskys Ballettmusik "Jeu de cartes". Man konnte immerhin zufrieden sein, diese seltene Partie einmal mitzuerleben, noch dazu angesichts solch unerschütterlicher Wiedergabe-Könnerschaft.



Frankfurter Neue Presse, February 9, 2008
Ein Joker spielte bei Strawinsky mit Osteuropäisch inspirierte Musik spielte des HR-Sinfonieorchester unter Paavo Järvi in der Alten Oper Frankfurt. Die Komponisten: Strawinsky, Szymanowski und Lutoslawski. Das kluge Programmheft freilich umschrieb die Ordnung deutlicher: Zu hören waren „neoklassizistische Spielarten“ mit der Ballettmusik „Jeu de cartes“ , der „Sinfonie concertante“, auch als 4. Sinfonie von Szymanowski beziffert, schließlich dem „Konzert für Orchester“, 1950–54 als ein Schlüsselwerk der polnischen Musik von Lutoslawski geschrieben. Eine bestechende Zusammenstellung, ohne Zweifel.Strawinskys lockere Geschichte um einen trickreichen Joker wurde dabei zum plastischen, scharf umrissenen Auftakt, der gleichwohl die Eleganz der Bewegung nicht vermissen ließ – ein weiteres Beispiel für den hohen Rang des Orchesters. Lutoslawskis „Konzert für Orchester“ bildete dazu ein zwingendes finales Gegengewicht mit nicht weniger – und brillant gemeisterten – Anforderungen an Soli und die einzelnen Gruppen. Järvis Energien und die seiner Musiker ließen stets spüren, dass dies für den Komponisten ein Werk der Befreiung, der Emanzipation war, kraftvoll und reich empfunden.Dazwischen dann Szymanowskis „Sinfonie Concertante“ mit einem enormen Part fürs Klavier – Szymanowski selbst war ja ein bedeutender Virtuose. Hier, in der Sinfonia, hatte er noch einmal eine überzeugende Einheit seiner Mittel gefunden, farbig und expressiv, dazwischen lyrischer Zauber wie im Capriccio notturno (2. Satz) oder unnachgiebiger Rhythmus wie im Schlusssatz. Der junge Pole Piotr Anderszewski spielte den Solopart mit gleichsam restloser Hingabe, nie dröhnend dabei, sondern mit außerordentlicher Sensibilität, ebenso wie mit stupender Virtuosität. Järvi und sein Orchester waren dabei die souveränen, die brillanten Partner. Bravos.

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