Paavo Järvi eröffnet mit Mahler Rheingau Musik Festival in Kloster Eberbach
27.6.10
Von Axel Zibulski
Die erste Attacke der Cello-Gruppe kommt beherzt. Dann ein besonders lang gehaltenes Tremolieren der übrigen Streicher: Eher breit und doch unerhört zupackend eröffneten Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester ihre Interpretation von Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 2 c-Moll in der Basilika von Kloster Eberbach, zugleich gewichtiges Startsignal für das 23. Rheingau Musik Festival.
Und so klang der Anfang von Mahlers etwa 90 Minuten dauernder Sinfonie auch wie ein Ausloten des Raumes: Wie viel Dramatik, auch Drastik verträgt die hallreiche Basilika gerade noch, ohne Strukturen, Transparenz, gestischen Gehalt zu verschleiern? Paavo Järvi kennt Eberbachs akustische Verhältnisse mittlerweile bestens. Seit 2007 ist er als Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters dort für die Festival-Eröffnung verantwortlich. Järvi, der mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen in den vergangenen Jahren eine viel beachtete Gesamtaufnahme der neun Beethoven-Sinfonien vorgelegt hat, scheut auch im Rheingau das Zyklische nicht.
Hier sind es die Sinfonien Gustav Mahlers, denen er sich regelmäßig zuwendet; nun, im 150. Geburtsjahr des Komponisten, also Mahlers 1895 in Berlin uraufgeführte „Auferstehungs“-Sinfonie mit zwei Vokalsolistinnen sowie den Chören des Bayerischen und des Norddeutschen Rundfunks. Doch zyklisch bedeutet bei Järvi alles andere als buchhalterisch, und der Zugang zu einem Werk wie Mahlers zweiter Sinfonie, die Järvi vor gerade gut einem Jahr in der Alten Oper Frankfurt interpretiert hat, fällt weniger dogmatisch aus, als dass er sich dem Raum anpasst: In Eberbach klang die Sinfonie gerade auch deshalb so gut in die Basilika-Mauern eingepasst, weil Järvi mit ihnen tönend spielte, Kulminationen im ersten, auch im vom Chor verstärkten fünften Satz ungebändigt explodieren ließ, ohne es ansonsten zwischen den Steinen diffus wummern zu lassen.
Glasklar und messerhscarf ausformuliert
Was Järvi, durchaus subjektiv in seinen Betonungen und Pointierungen, wichtig schien, war nämlich glasklar und messerscharf ausformuliert. Zum Beispiel die in sich drosselnder Zählzeit regelrecht ausgebremste, abfedernde Ländlerthematik des zweiten Satzes, warm, weich und ein wenig weltverloren von den hr-Streichern ausgestaltet.
Wie eine Täuschung wirkte der fast schon idyllisch an diesen Satz gehängte Pizzicato-Schluss, weil Järvi umso unmittelbarer und fast schmerzhaft die Pauke zum pausenlos folgenden Scherzo-Beginn dagegen schnitt – nur einer der zahlreichen, die Extreme auslotenden Momente dieser Aufführung, mit der Järvi Ohr und Seele zugleich bannte.
Zudem: Wann hat man dieses Scherzo, eine Art instrumentaler Paraphrase von Mahlers eigenem Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt“, so wuchtig, angespannt und drückend gehört, dass sich danach das gesungene „Urlicht“ erst recht als Entrückung ins Sphärische absetzen konnte?
Unprätentiöse Solitstinnen
Järvis Rauminszenierung fiel noch einmal besonders suggestiv in den Fernorchester-Passagen des Finales aus, von jenseits der Basilika-Mauern hereinwehende Marschfetzen wie in einer Traum-Groteske. Danach formten der Chor des Bayerischen Rundfunks und NDR Chor den Schlusstext vom „Aufersteh’n, ja Aufersteh’n“ als glockige, klare, reine Apotheose kongenial zum exzellent disponierten hr-Sinfonieorchester aus. Eher unprätentiös die beiden Solistinnen Camilla Tilling (Sopran) und Lilli Paasikivi (Mezzo), groß am Ende die Begeisterung in der vollbesetzten Basilika von Kloster Eberbach.
http://www.wiesbadener-tagblatt.de/region/rheingau/eltville/9077588.htm
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