Der Dirigent Paavo Järvi erzählt von Muhu, seiner Lieblingsinsel in Estland

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Roland Mischke

Die musikalische Karriere von Paavo Järvi, 48, begann früh. Der Sohn des Dirigenten Neeme Järvi ging 1980 mit Eltern und Geschwistern in die USA. Dort setzte er sein in Tallinn begonnenes Studium Percussion und Dirigieren fort. Zuvor hatte er in Estland Schlagzeug gespielt in Erkki-Sven Tüürs kammermusikalischem Rockensemble In Spe, seinerzeit eine der beliebtesten Rockgruppen. Diese Zweigleisigkeit im Schaffen – Klassik und Pop – bestimmte auch weitere Stationen von Paavo Järvi.

In Stockholm leitete er als Dirigent das Kungliga Filharmoniska Orkestern, seit vielen Jahren ist er Künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Als Chefdirigent des Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks erregte Paavo Järvi im Jahr 2006 die Aufmerksamkeit als er beim Music Discovery Project 2007 Klassik mit Pop kreuzte und mit mehreren berühmten DJs und anderen Künstlern aus der Popbranche arbeitete. Inzwischen hat der Este mit dem US-Pass das Orchestre de Paris als Chefdirigent übernommen. Unterstützt hat er aber auch das Projekt seines alten Freundes Erkki-Sven Tüür, „Exodus“, ein Konzert für Violine und Orchester. Das Werk wurde in mehreren Städten in Europa und Amerika, auch in Tokio, aufgeführt.

Herr Järvi, warum sind die Esten so musikverliebt? Wurde ihnen das Singen in die Wiege gelegt?

Ja, wir wachsen mit Musik auf, wir hören sie überall, im Wind, im Wellenschlag, sogar im Fallen des Schnees. Das ist eine Kultur in unserem Land, an der kann kein Este vorbei. Und das Singen hängt ja mit unserer Unabhängigkeit zusammen. Wir haben alle Herrscher überstanden, weil wir unsere Lieder gesungen haben. So viel hat sich in den Jahrhunderten unserer Geschichte geändert, aber die Lieder unserer Vorfahren sind uns geblieben. Sie arbeiten seit mehreren Jahren für die deutsche Kammerphilarmonie Bremen und sind Chefdirigent des Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. Was unterscheidet Esten und Deutsche? Welche Gemeinsamkeiten haben sie?
Die Unterschiede zwischen beiden Völkern sind minimal, eigentlich gar nicht vorhanden. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich lebe derzeit in Paris und kann nur sagen, dass ich nirgendwo eine Verbindung zwischen französischer und estnischer Lebenskultur ausmachen kann. Bei Deutschen und Esten aber sehe ich sehr viele Ähnlichkeiten im Wesen, in der Gemütsart. Und damit ist nicht nur die Disziplin gemeint. Wir verstehen einander einfach gut. 800 Jahre Deutscher Ritterorden hat im Baltikum auch seine Spuren hinterlassen.

Sie dirigieren in der ganzen westlichen Welt. Wie oft sind Sie noch in Estland?

So oft ich es kann. Im Sommer auf jeden Fall, im Juli und August findet in Pärnu das Järvi Summer Festival statt. Ich bin dort künstlerischer Berater. Wir haben in diesem Jahr 150 Musiker da gehabt, Solisten, Ensembles, Orchester. Es gab fünf große sinfonische Konzerte, aber auch viel Kammermusik. Und auch 2012 wird gut werden.

Sie haben Estland schon 1980 in Richtung Amerika verlassen. Welche Erinnerungen an Ihre Jugend in der Heimat sind geblieben?

Mein Favorit war und ist Pärnu, da habe ich als junger Mensch viele Sommer verbracht. Natürlich gefällt mir auch Tallinn, da bin ich geboren und dort ist viel passiert in den letzten Jahren. Auch Tartu gefällt mir und unsere vielen Inseln.

Haben Sie eine Lieblingsinsel?

Ja, Muhu, Estlands drittgrößte Insel. An der Westküste gibt es die Überreste einer Bauernburg, anderswo finden sich Begräbnisstätten aus dem Neolithikum. Vor etwa 3000 Jahren war die Insel schon besiedelt. In Richtung Süden liegt traumhaft zwischen Meer und Wald der Gutshof Pädaste mit seinen bemoosten Feldsteinmauern. Die haben alle Jahrhunderte und Herren überdauert.

Was bedeutet Ihnen die deutsche Klassik?

Sie ist die Basis für alle klassische Musik weltweit. Komponisten wie Bach, Beethoven, Mozart, Bruckner oder Mahler waren fundamental wichtig für die Entwicklung der Klassik. Und es gibt keinen Platz in der Welt, wo diese Musik so sehr zur Allgemeinheit der Menschen gehört. Deutschland ist immer noch der beste Platz für die Klassik.

Und die estnische Musik?

Sehr wichtig war die Zeit des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert. Unsere besten Musiker sind Eduard Tubin, Erkki-Sven Tüür, Veljo Tormis, Helena Tulve, Heino Eller und Tõnu Kaljuste. Heute ist Arvo Pärt eine Ausnahmeerscheinung der estnischen Musik.

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