Zwei Wikinger und ein Tschaikowski
.fr-online.de
Von Wolfgang Heininger
20/04/2013
Seine Vierte als „unauslöschlich“ zu bezeichnen, war von ihrem Komponisten Carl Nielsen vielleicht ein bisschen gewagt, denn zu den ganz großen klassischen Orchesterwerken zählte seine Interpretation eines „elementaren Lebenswillens“ nicht, auch wenn der wohl wichtigste dänische Sinfoniker damit einen wichtigen Beitrag zum Übergang in die Moderne leistete. Nielson schneidet rigoros alte Zöpfe ab, verzichtet auf Schnörkel und Sentimentalitäten. Schon allein die Zeit, die Komposition entstand mitten im Ersten Weltkrieg, verbot barocke oder gar Strauß'sche Seligkeit.
Jedoch, so dicht an der Grenze zur Atonalität, so wild und schräg, wie es Adelheid Coy und Carola Finkel in ihrer Vorabplauderei zum Musikabend am Freitag in der Frankfurter Alten Oper suggerierten, ist die „Unauslöschliche“ bei weitem nicht. Und dass da gleich zwei Paukisten kurz davor sind, mit ihrem kriegerischen Duell den übrigen Klangkörper des HR-Sinfonieorchesters im vierten Satz förmlich auseinanderzujagen, davon konnte auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil Chefdirigent Paavo Järvi es versteht, seine Truppe auch durch noch schwierigeres Fahrwasser zu steuern.
Nicht umsonst wurde der gebürtige Este, der sein Handwerk unter anderem bei Leonard Bernstein erlernte und bereits eine Reihe der weltweit bedeutendsten Ensembles führte, für 2015 zum neuen Chefdirigenten des renommierten NHK Symphony Orchestra in Tokio berufen.
Recht hatten Coy und Finkel allerdings mit ihrer Analyse, dass man Nielsens expressionistisches Œvre eigentlich zweimal hintereinander hören müsste, um die collagenhaft zusammengefügten Einfälle, die manchem Komponisten Stoff für mehrere Symphonien geliefert hätten, wenigstens einigermaßen zu erfassen. Manchmal wurde diese Stoffsammlung dann doch etwas breiig, was ausdrücklich nicht die Schuld der Ausführenden war.
Ihren Arrangeur können die derart zart und gefühlvoll moderierten Stücke allerdings nicht verleugnen. Mehr als einmal brechen Motive aus Peer Gynt hervor und manchmal scheint es, als treibe ein Amerikaner nicht in Paris, sondern in der Halle des Bergkönigs Schabernack.
Höhepunkt war gleichwohl Tschaikowskis Violinenkonzert mit der Holländerin Janine Jansen als Solistin. Mit kleinen schnellen Impulsen vermag es die 35-jährige mehrfache Echo-Preisträgerin, sich und das Orchester, mit dem sie bereits häufig auftrat, in diesem unbändigen Werk voranzutreiben und es damit so hinreißend zu machen, wie es dem Komponisten selbst ergangen sein muss: Er ließ sich im März 1878 von seinem musikalischen Genius derart hinreißen, dass er die Komposition im Gefühl „reinster Seligkeit“, wie er selbst es beschrieb, in nur drei Wochen fertig hatte.
Dass dieses sanfte wie brausende Tongewitter jahrelang als unspielbar galt und nach der Uraufführung in Wien von der Kritik verrissen wurde, ist heute kaum noch nachvollziehbar. Sehr wohl nachvollziehbar war allerdings der Beifallssturm, der nach Jansens Ritt auf der Stradivari von 1725 einsetzte.
Das Konzert in der Alten Oper, das in neun Länder, darunter auch Australien und die USA, übertragen wurde, ist nochmals unter www.hr-sinfonieorchester.de zu sehen und zu hören. Unter der Leitung von Paavo Järvi spielt das Orchester am 24. und 25. Mai in der Alten Oper Gustav Mahlers 8. Sinfonie, die seit fast 20 Jahren nicht mehr in Frankfurt aufgeführt wurde.
Von Wolfgang Heininger
20/04/2013
Paavo Järvi, Dirigent des HR-Sinfonieorchester (Archivbild). Foto: Sascha Rheker/attenzione
Seine Vierte als „unauslöschlich“ zu bezeichnen, war von ihrem Komponisten Carl Nielsen vielleicht ein bisschen gewagt, denn zu den ganz großen klassischen Orchesterwerken zählte seine Interpretation eines „elementaren Lebenswillens“ nicht, auch wenn der wohl wichtigste dänische Sinfoniker damit einen wichtigen Beitrag zum Übergang in die Moderne leistete. Nielson schneidet rigoros alte Zöpfe ab, verzichtet auf Schnörkel und Sentimentalitäten. Schon allein die Zeit, die Komposition entstand mitten im Ersten Weltkrieg, verbot barocke oder gar Strauß'sche Seligkeit.
Jedoch, so dicht an der Grenze zur Atonalität, so wild und schräg, wie es Adelheid Coy und Carola Finkel in ihrer Vorabplauderei zum Musikabend am Freitag in der Frankfurter Alten Oper suggerierten, ist die „Unauslöschliche“ bei weitem nicht. Und dass da gleich zwei Paukisten kurz davor sind, mit ihrem kriegerischen Duell den übrigen Klangkörper des HR-Sinfonieorchesters im vierten Satz förmlich auseinanderzujagen, davon konnte auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil Chefdirigent Paavo Järvi es versteht, seine Truppe auch durch noch schwierigeres Fahrwasser zu steuern.
Nicht umsonst wurde der gebürtige Este, der sein Handwerk unter anderem bei Leonard Bernstein erlernte und bereits eine Reihe der weltweit bedeutendsten Ensembles führte, für 2015 zum neuen Chefdirigenten des renommierten NHK Symphony Orchestra in Tokio berufen.
Recht hatten Coy und Finkel allerdings mit ihrer Analyse, dass man Nielsens expressionistisches Œvre eigentlich zweimal hintereinander hören müsste, um die collagenhaft zusammengefügten Einfälle, die manchem Komponisten Stoff für mehrere Symphonien geliefert hätten, wenigstens einigermaßen zu erfassen. Manchmal wurde diese Stoffsammlung dann doch etwas breiig, was ausdrücklich nicht die Schuld der Ausführenden war.
Brausendes Tongewitter
Begonnen
hatte der Abend in der Reihe der „Jungen Konzerte“ mit den norwegischen
Tänzen von Edvard Grieg, die sich hinter den Annäherungen von Brahms
oder Liszt an die damalige Volksmusik nicht verstecken müssen, auch wenn
die vier Teile, die von Grieg mit eigenen Ideen zur Sinfonieform
kombiniert wurden, weit seltener aufgeführt werden und auch im Schatten
seiner eigenen berühmteren Arbeiten stehen.Ihren Arrangeur können die derart zart und gefühlvoll moderierten Stücke allerdings nicht verleugnen. Mehr als einmal brechen Motive aus Peer Gynt hervor und manchmal scheint es, als treibe ein Amerikaner nicht in Paris, sondern in der Halle des Bergkönigs Schabernack.
Höhepunkt war gleichwohl Tschaikowskis Violinenkonzert mit der Holländerin Janine Jansen als Solistin. Mit kleinen schnellen Impulsen vermag es die 35-jährige mehrfache Echo-Preisträgerin, sich und das Orchester, mit dem sie bereits häufig auftrat, in diesem unbändigen Werk voranzutreiben und es damit so hinreißend zu machen, wie es dem Komponisten selbst ergangen sein muss: Er ließ sich im März 1878 von seinem musikalischen Genius derart hinreißen, dass er die Komposition im Gefühl „reinster Seligkeit“, wie er selbst es beschrieb, in nur drei Wochen fertig hatte.
Dass dieses sanfte wie brausende Tongewitter jahrelang als unspielbar galt und nach der Uraufführung in Wien von der Kritik verrissen wurde, ist heute kaum noch nachvollziehbar. Sehr wohl nachvollziehbar war allerdings der Beifallssturm, der nach Jansens Ritt auf der Stradivari von 1725 einsetzte.
Das Konzert in der Alten Oper, das in neun Länder, darunter auch Australien und die USA, übertragen wurde, ist nochmals unter www.hr-sinfonieorchester.de zu sehen und zu hören. Unter der Leitung von Paavo Järvi spielt das Orchester am 24. und 25. Mai in der Alten Oper Gustav Mahlers 8. Sinfonie, die seit fast 20 Jahren nicht mehr in Frankfurt aufgeführt wurde.
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