Tollkühne Komponisten: Paavo Järvi mit den Berliner Philharmonikern und Seong-Jin Cho
Bachtrack
07 October 2024
Die Berliner Philharmoniker unter Paavo Järvi, dazu der Artist in Residence des Orchesters in der Saison 2024/25, Pianist Seong-Jin Cho, und am Programm stehen Schostakowitsch und Bruckner. Es ist ein vielversprechender Abend, doch nicht immer ist alles was glänzt Gold. Vor allem wenn es zu perfekt glänzt.
Eröffnet wurde der Abend mit einer kräftigen, regelrecht energetisch aufgeladenen Darbietung der Ouvertüre Nr. 2 von Veljo Tormis, die von heftigen Trommelwirbeln und schmetternden Blechbläsern angetrieben, in einem Mittelteil beruhigt wurde, in dem Sébastian Jacot ein schönes Flötensolo spielte. Schließlich wurde mit dem vorwärtstreibende Anfangsmotiv dann das Stück, nun das ganze Orchester zum Schlagwerk erklärend, mit harten Schlägen zum Ende gebracht.
Manche Werke werden heute so perfekt Interpretiert, dass ihnen der ursprünglich zugedachte Sinn verloren zu gehen droht. Schostakowitschhatte 1958 bekannt, in seinem c-Moll-Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester ein Werk des leichten Genres geschrieben zu haben. Rund 20 Jahre zuvor hatte er verlauten lassen, dass es ihm eine große Befriedigung bedeute, wenn das Publikum während der Aufführung seiner Werke lächele oder sogar direkt lache. Schostakowitsch fügte dem Soloklavier noch die Trompete als Instrument der Zirkus-Clowns hinzu – und das doch weniger als Partner, sondern, um den sich als Akrobat aufspielenden Pianisten zu stören und für Pointen zu sorgen.
Doch so sehr sich Seong-Jin Cho und Guillaume Jehl (Solotrompeter der Berliner Philharmoniker) auch auch darum bemühten, im mal keck-parodistischen Ton dann mit trockenem Humor den Sarkasmus des Stückes zu treffen, blieb die Aufführung doch in all ihrem Glanz der Nachfahre jener romantischen Virtuosenkonzerte, auf die Schostakowitsch seine beißende Parodie geschrieben hatte. Wie im Filmschnitt, orientiert am „unlogischen Performancestil“ Charlie Chaplins, sollte das Seitenthema im Kopfsatz in das Werk purzeln, und dies regelrecht schnöde, weil die Streicher gerade versucht hatten, sich zu Rachmaninowscher Emphase aufzuschwingen. An diesem Abend trat es so ein, als wäre es völlig normal, dass in einen Klavierkonzert auch ein Quickstep erklingen kann.
Wenn im Couplet des unaufhaltsam als Geschwindgalopp eines aberwitziges Wettrennen zwischen Trompete und Klavier dahinstürmenden Finalsatzes die beiden Soloinstrumente wie in einem filmischen Crosscutting zwei Szenen übereinander zu setzen hatten – eine Gavotte im Varietéstil (Klavier) und ein Gassenhauer in der Trompete – klang das alles so gekonnt, so brillant, dass sich das Verrückte dieser Stelle kaum entfalten konnte. Darum gelangen die von lyrischer Tiefe getragenen Passagen, die das Konzert auch aufweist, am besten, auch wenn Schostakowitsch sie vielleicht gar nicht so ernst gemeint hat wie sie an diesem Abend gespielt wurden. So wurde dem langsamen, von den gedämpften Streichern vorgetragenen Boston-Walzer schön ein Trauerflor umgehängt, so dass sich das introvertierte Wesen Seong-Jin Chos bestens entfalten konnte. Sehr gelungen erschien auch, wenn die Aufführung, wie in der Art eines Fade, manche Szene allmählich aus der Dunkelheit ins Licht trug, um in ein Solo regelrecht überzublenden.
Nach der Pause fegte in einer geballten Ladung Bruckners Erste in ihrer ersten, der „Linzer“ Fassung, durch den Saal. Paavo Järvi soll nach eigenen Worten keinen brutalen, keinen mit der Faust dirigierten Bruckner mögen. Doch genauso nahm er die Sätze – und tat gut daran. Unbekümmert interpretierte er den ersten Satz und spürte den Entwicklungen der Themen kaum nach, da Bruckner sie auch nur sehr unterschwellig miteinander verbunden hat. Die kargen Töne des Adagio-Beginns werden auch in der Reprise nicht zu üppiger Klangpracht gebracht. Ein derartig heftig genommenes, ja unerbittliches Scherzo dürfte Seltenheitswert in der Aufführungsgeschichte des Werkes haben und riss einen förmlich von den Sitzen. Das Finalthema wurde wie ein Oratorium von Händel geschmettert. Am Ende des Satzes wurden Derivate des Themas zur Apotheose gesteigert, bis schließlich eine nicht mehr thematisch abzuleitende Triumphgeste das im Grunde „freche“ Werk zum Ende bringt. Hier traute sich der Dirigent, dem Übermut des Komponisten zu trauen!
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