Joseph Haydn: Symphonien Nr.94,95,98,99 - Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi

Zweiter Streich

Label/Verlag: Sony Classical

Klassik

Kritik von Dr. Aron Sayed, 28.01.2025

Detailinformationen zum besprochenen Titel

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Nicht revolutionär, aber beglückend: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi mit dem zweiten Londoner Haydn-Streich.

Auf Tonträger hat sich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen bislang vor allem mit Zyklen der Sinfonien von Beethoven, Schumann und Brahms einen Namen gemacht. Wer den Klangkörper unter seinem Künstlerischen Leiter Paavo Järvi live gehört hat, weiß jedoch, dass in der ersten Konzerthälfte häufiger auch Joseph Haydn (1732-1809) auf dem Programm steht, und das keineswegs nur als Warmspieler – im Gegenteil. Insofern verwundert es nicht, dass nach den Sinfonien Nr. 101 und 103, die 2023 erschienen, nun der nächste Satz der „Londoner Sinfonien“ an der Reihe ist – aufgenommen wurden die Werke im November und Dezember 2021 in Bremen. Diese kommen auf zwei CDs in Gestalt zweier Paare daher: Die erste CD koppelt die Nummer 94 in G-Dur, mit dem titelgebenden überraschenden Tuttischlag im „Andante“, mit der Nr. 99 in Es-Dur. Die zweite CD lässt auf die Nr. 95 in c-Moll die in B-Dur Nr. 98 folgen.

Bekannte Stärken

Dass die Bremer Kammerphilharmonie bei aller historischen Informiertheit den Blick aufs 19. Jahrhundert gerichtet hat, so wie auch ihr langjähriger Leiter Paavo Järvi, macht sich auch diesmal wieder bemerkbar. Denn trotz aller orchestralen Schlankheit, Wendigkeit und am Barock geschulten Artikulation weist dieser Haydn eine stürmische Explosivität auf, die unmittelbar an Beethoven und Schubert denken lässt, dabei aber den typischen Haydn-Humor nie vermissen lässt. Hinzu kommt eine durchaus aufs sinfonisch Große ausgerichtete Klangästhetik, die in Teilen auf das moderne Instrumentarium zurückzuführen sein mag (bis auf die Pauke), und sich vor allem im warm wie flexibel schillernden Streicherklang niederschlägt, der wieder mal geradezu süchtig macht. So hört man hier am imaginären Horizont mehr als einmal bereits das Gewitter im Finale der Großen C-Dur Sinfonie von Schubert aufziehen. Insofern klingt dieser Haydn nicht bloß packend modern, sondern stellt auch eine willkommene Ergänzung zur allgemeinen Haydn-Exegese dar – auch wenn diese mit Einspielungen der „Londoner“ Sinfonien schon reich gesegnet ist.

Die Heidelberger

Wer es gerne noch stärker historisch informiert mag, sowohl vom Instrumentarium als auch der Interpretation, kann den Vergleich mit den Heidelberger Sinfonikern machen, bei denen der musikalische Charakter noch stärker zugespitzt wirkt und die Klangästhetik noch barocker erscheint. Man höre nur das Menuett aus der Nr. 94 direkt vergleichend nacheinander. Bei allen beglückenden Qualitäten der Bremer Kammerphilharmonie erscheint Haydns stilistische Individualität unter Thomas Fey noch stärker ausgeformt. Moderner klingt es allerdings bei Paavo Järvi und den Bremern. Unentschlossene sollten also einfach streamen oder vor dem Kauf den Vergleich machen. Wirklich etwas falsch macht man bei beiden nicht.



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