CONCERT REVIEW: Lars Vogt, Frankfurt Radio Orchestra
October, 2007
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Gewaltiger Klangstau
Paavo Järvi dirigiert Spätwerke und Sibelius
Mahlers letzte Sinfonie und Mozarts letztes Klavierkonzert sind Musikstücke, die durch typische Merkmale eines Spätwerks charakterisiert sind. Für Mozart gilt dies ungeachtet dessen, dass dem Komponisten lediglich 35 Jahre Lebenszeit beschieden waren. Doch die Gunst der Zeit war selbst ihm abhold. Das flüchtige Interesse der Gesellschaft war ihm längst abhandengekommen, und da man ihn schon hatte fallenlassen, musste er auch weniger Rücksicht auf Konvention, Gefälligkeit und das prickelnde Bedürfnis nach Virtuosität jener "Langohren" nehmen, die manchmal die Säle und Salons okkupierten. Mozarts Konzert für Klavier und Orchester Nr. 27 B-Dur KV 595, von dem die Rede ist, wurde jedenfalls ein introvertiert klingendes Werk voller Melancholie und stark gedämpfter Emotion. Lars Vogt, der Mozarts letzten Gattungsbeitrag jetzt zusammen mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Paavo Järvi beim Freitagskonzert in der Alten Oper interpretierte, verband den Grundgedanken eines idealen Schwebezustands mit einer kristallin transparenten Anschlagtechnik, mit der er sich nirgends in den Vordergrund spielte. Alles blieb in dieser Darstellung moderat, auch Järvis Begleitung mit dem musikalisch gleichwohl stets präsenten hr-Sinfonieorchester. Ganz anders zu Beginn des Abends das Adagio aus Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 10: Auch diese Musik scheint in ihrer Abgeklärtheit zuweilen wie aus einer anderen Welt zu kommen, doch birgt sie eine kumulative Kraft von zuweilen fast bedrohlicher Intensität. Denn wiewohl die Musik in sich zu kreisen und Entwicklungen zu verbergen vermag, spitzt sich der Klang doch kontinuierlich zu bis zu jenem legendären Neuntonakkord, mit dem Mahler in neue Dimensionen des Komponierens vordringt. Paavo Järvi, dessen suggestive und detailgenaue Darbietung - eine kleine Geigenirritation in Takt 164 ausgenommen - auf eine intensive Probenarbeit schließen lässt, ließ es sich nicht nehmen, auf die radikal modernen Elemente dieser Musik hinzuweisen. Erstaunlicherweise gelang ihm solches selbst in Jean Sibelius' Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 mühelos. Das scheinbar harmlose, in Wahrheit ziemlich intrikate, mit klassischen Formen und Inhalten wenig kompatible Werk enthält harmonische Schärfen und rhythmische Besonderheiten, über die oft allzu oberflächlich hinwegmusiziert wird. Und obwohl diese Musik doch eher durch Orgelpunkte denn durch kontrapunktische Entwicklungen gekennzeichnet ist, erscheinen manche Phasen in rasendem Tempo, das jedoch in das Korsett einer quasi übergeordneten, abbremsenden Bewegung gezwängt wird, die mit der Kraft der Musik nicht konform geht. So entsteht ein gewaltiger Klangstau, der sich am Ende in heftigen, durch Generalpausen unterbrochenen Orchesterschlägen löst. In Paavo Järvis Darbietung klang dies sehr beeindruckend, was auch durch den starken Beifall bestätigt wurde.
HARALD BUDWEG
Gewaltiger Klangstau
Paavo Järvi dirigiert Spätwerke und Sibelius
Mahlers letzte Sinfonie und Mozarts letztes Klavierkonzert sind Musikstücke, die durch typische Merkmale eines Spätwerks charakterisiert sind. Für Mozart gilt dies ungeachtet dessen, dass dem Komponisten lediglich 35 Jahre Lebenszeit beschieden waren. Doch die Gunst der Zeit war selbst ihm abhold. Das flüchtige Interesse der Gesellschaft war ihm längst abhandengekommen, und da man ihn schon hatte fallenlassen, musste er auch weniger Rücksicht auf Konvention, Gefälligkeit und das prickelnde Bedürfnis nach Virtuosität jener "Langohren" nehmen, die manchmal die Säle und Salons okkupierten. Mozarts Konzert für Klavier und Orchester Nr. 27 B-Dur KV 595, von dem die Rede ist, wurde jedenfalls ein introvertiert klingendes Werk voller Melancholie und stark gedämpfter Emotion. Lars Vogt, der Mozarts letzten Gattungsbeitrag jetzt zusammen mit dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Paavo Järvi beim Freitagskonzert in der Alten Oper interpretierte, verband den Grundgedanken eines idealen Schwebezustands mit einer kristallin transparenten Anschlagtechnik, mit der er sich nirgends in den Vordergrund spielte. Alles blieb in dieser Darstellung moderat, auch Järvis Begleitung mit dem musikalisch gleichwohl stets präsenten hr-Sinfonieorchester. Ganz anders zu Beginn des Abends das Adagio aus Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 10: Auch diese Musik scheint in ihrer Abgeklärtheit zuweilen wie aus einer anderen Welt zu kommen, doch birgt sie eine kumulative Kraft von zuweilen fast bedrohlicher Intensität. Denn wiewohl die Musik in sich zu kreisen und Entwicklungen zu verbergen vermag, spitzt sich der Klang doch kontinuierlich zu bis zu jenem legendären Neuntonakkord, mit dem Mahler in neue Dimensionen des Komponierens vordringt. Paavo Järvi, dessen suggestive und detailgenaue Darbietung - eine kleine Geigenirritation in Takt 164 ausgenommen - auf eine intensive Probenarbeit schließen lässt, ließ es sich nicht nehmen, auf die radikal modernen Elemente dieser Musik hinzuweisen. Erstaunlicherweise gelang ihm solches selbst in Jean Sibelius' Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 mühelos. Das scheinbar harmlose, in Wahrheit ziemlich intrikate, mit klassischen Formen und Inhalten wenig kompatible Werk enthält harmonische Schärfen und rhythmische Besonderheiten, über die oft allzu oberflächlich hinwegmusiziert wird. Und obwohl diese Musik doch eher durch Orgelpunkte denn durch kontrapunktische Entwicklungen gekennzeichnet ist, erscheinen manche Phasen in rasendem Tempo, das jedoch in das Korsett einer quasi übergeordneten, abbremsenden Bewegung gezwängt wird, die mit der Kraft der Musik nicht konform geht. So entsteht ein gewaltiger Klangstau, der sich am Ende in heftigen, durch Generalpausen unterbrochenen Orchesterschlägen löst. In Paavo Järvis Darbietung klang dies sehr beeindruckend, was auch durch den starken Beifall bestätigt wurde.
HARALD BUDWEG
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