CD REVIEW: Beethoven Symphonies 4 & 7


April 1, 2008


Label: RCA Red Seal , VÖ: 31.08.2007


Sie kennen diese unnütze Frage nach den Büchern und oder Platten, die man auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Im vorliegenden Fall müsste sie sich ganz konkret auf eine Gruppe von Werken richten, nämlich auf die Sinfonien Ludwig van Beethovens, und wenn ich der Aufnahme mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung von Paavo Järvi dann den Inselstatus zubillige, deutet dies schon darauf hin, dass es sich hierbei in meinen Augen um etwas ganz Besonderes handelt. Das mag zwar immerhin ein Statement mit gewisser Aussagekraft sein, aber dennoch bedarf es wohl noch einer genauen Erklärung, wenn man als Rezensent der x-ten Aufnahme von Beethovens Sinfonien die höchste Repertoirebewertung vergibt. Nun denn: Järvis Einspielung ist für mich in die vorderste Reihe der Beethoven-Einspielungen gerückt, weil sie nicht etwa ein längst abgehaktes Beethovenbild verkörpert, sondern den Werken bislang nicht Gehörtes zu entlockend versteht – auf eine Art und Weise, die schlichtweg fesselnd und faszinierend ist.

Mit der Kombination der Sinfonien Nr. 4 B-Dur op. 60 und Nr. 7 A-Dur op. 92 macht der Dirigent ebenso viel Furore wie mit seiner im vergangenen Jahr gleichfalls bei RCA Red Seal als SACD vorgelegten Einspielung von ‚Eroica’ und achter Sinfonie. Dass Rezensenten mit weniger offenen Ohren und festgefahrenen Hörgewohnheiten den frischen und kraftvollen Duktus dieser Interpretation überhört haben, macht mehr als alles andere deutlich, mit welchen enormen Hör-Klischees Beethovens Sinfonien im Zeitalter ihrer medialen Massenverbreitung beladen sind. Und ein rund 150 Jahre altes Zitat Hans von Bülows – so belesen es auch klingen mag – genügt eben noch lange nicht, um eine moderne und in höchstem Maße ambitionierte Aufnahme adäquat zu beurteilen und die Einflüsse der historisch-orientierten Aufführungspraxis auf den mit penibler Texttreue agierenden Järvi pauschal abzuqualifizieren.

Transparenz und Klangsinnlichkeit

Auch diesmal schaffen es Dirigent und mit staunenswerter Perfektion agierende Musiker, einen unerhörten Beethoven abzuliefern – eine Aufnahme, deren Referenzcharakter für mich außer Frage steht. Das Orchester tritt zwar mit schlankem, vibratolosem Klang, aber mit natürlich anmutender Phrasenbildung und ohne Übertreibung der Artikulation auf, die einzelnen Instrumentengruppen sind von Järvi perfekt gegeneinander ausbalanciert. Resultat dieser grundlegenden Kennzeichen sind eine klare Diktion und eine große Transparenz des Orchestersatzes mit fein abgestuftem Klangbild, was einerseits die in Beethovens Werken steckende instrumentale Virtuosität, andererseits auch die klangsinnlich präsentierten Details der Melodiebögen auf besondere Weise zum Zuge kommen lässt.

Letzteres wird im Adagio der B-Dur-Sinfonie deutlich, wo Järvi die Melodiebögen über der präzise umgesetzten Begleitung schweben lässt und die Wirkung des Satzes aus dem ständigen Kontrast zwischen Kantabilität und ostinat anmutender Rhythmik formt. Die Virtuosität hingegen tritt vor allem im Finale hervor, wo das Passagenwerk der Streicher im Sinne rhythmischer Strukturierung eingesetzt wird, was dem ‚Allegro man non troppo’ eine ungemeine Spannung verleiht. Vorbildlich in Wiedergabe und Spannungsaufbau ist aber auch die ‚Adagio’-Einleitung des Kopfsatzes: Hier erscheinen die Bläser- und Streicherstimmen anfangs in den akkordisch eröffneten Tonraum eingehängt und verleihen der Musik dadurch eine sich ständig wandelnde Plastizität, die dann im nachfolgenden ‚Allegro vivace’ auf die Darstellung von rhythmischen Akzenten und Synkopen übergreift.

Tänzelnde Siebte

Wie Järvi überhaupt die rhythmische Ebene der Kompositionen als Gestaltungselement nutzt, wird im Zusammenhang mit Beethovens Siebter deutlich, denn nach der ‚Poco sostenuto’-Einleitung scheint der Kopfsatz förmlich zu tänzeln. Dieses Element wird mit einem dramatisch aufgebauten Durchführungsverlauf verschränkt, der zu den schönsten Momente der gesamten Einspielung gehört: Wie hier die unterschiedlichen musikalischen Ereignisschichten hörbar bleiben und sich gegenseitig zu kommentieren scheinen, ist schon großartig. Doch Järvi kann den tänzelnden Charakter auch ins angrenzende ‚Allegretto’ übernehmen, lässt ihn sich in großer Entspanntheit über dem ständig wiederholten Bassimpuls entfalten und trägt diese Haltung bis in die fugierten Passagen hinein. Das Scherzo lässt dann ganz unverhohlen den bukolischen Charakter anklingen, der schon hier und dort im Kopfsatz zu vernehmen war. Hier schafft Järvi ein wahrlich wunderbares Trio mit den Holzbläsern über den Bordunklängen der Streicher, das in den Tuttipassagen die ganze Leuchtkraft des Orchesters entfaltet.

Das ‚Allegro con brio’-Finale ist schließlich das i-Tüpfelchen auf der ganzen Geschichte, denn auf die Übernahme eines Marsches in die Sinfonie reagiert Järvi mit einer straffen, aber nicht überhasteten Tempogebung, deren Akzentgebung gleichfalls die tänzerischen Elemente betont, sich in Bezug auf den häufig angestimmten Kehrauscharakter jedoch bewusst zurückhält. An seine Stelle tritt eine faszinierende rhythmische Spannkraft, die Järvi zum Aufbau von Kontrasten benutzt. Das Ergebnis ist herrlich und bestätigt mit allen Details die eingangs formulierte Meinung: dass dieser Beethoven nämlich genau die richtige Wahl für eine einsame Insel ist. Da aber ein solcher Aufenthalt in nächster Zeit nicht absehbar ist, ist Järvis Lesart für mich zumindest ein willkommener Anlass, endlich einmal die CD-Regale zu durchforsten und einige meiner älteren Einspielungen auszumisten.

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