Unheimlich dynamisiert

 klassik.com
Florian Schreiner
27/06/2014

Schumann, Robert - Symphonie Nr. 4
Unheimlich dynamisiert

Label/Verlag: RCA Red Seal

Effektvoll ohne effektheischend zu sein: Diese Folge aus dem aktuellen Schumann-Zyklus der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ist der bisherige Höhepunkt der Reihe.

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen hat mit ihrem Beethoven-Zyklus mächtig Furore gemacht, man könnte fast sagen: Schallplattengeschichte geschrieben. Unter Paavo Järvis Leitung versucht man nun, einen solchen Meilenstein auch auf dem Gebiet der Orchestermusik von Robert Schumann zu setzen. Den bislang erschienenen Folgen nach zu urteilen, dürfte das nicht ganz gelingen, obschon das kammermusikalisch-flexible Spiel dieses exzeptionellen Klangkörpers zu begeistern weiß. Aber Paavo Järv ist zusammen mit dem Orchester dann doch nicht den letzten Schritt gegangen, der mit diesem Ensemble möglich wäre, etwa in der Herausarbeitung des Manischen im Finalsatz der Zweiten Sinfonie. Zudem blieb der Zugriff doch ein wenig zu sehr dem neumodischen Mantra der klanglichen Transparenz verpflichtet, obwohl Schumanns Orchestrierung auf einen differenzierten Mischklang ausgelegt ist, bei dem die Streicher die Bläserfarben decken.

Nun aber, mit vorliegender Einspielung, wird das Bremer Schumann-Projekt weit nach vorn katapultiert. Denn diese Aufnahme ist schlichtweg grandios – und das gilt für alle drei Programmpunkte dieser in Bezug auf die musikalische Faktur durchaus heterogenen Werkzusammenstellung: Die als hybride SACD produzierte Aufnahme beginnt mit dem von Schumann während des Entstehungsprozess noch als ‚Symphonette‘ bezeichneten Dreiteiler 'Ouvertüre, Scherzo und Finale' op. 52, fährt mit dem großartigen Konzertstück für vier Hörner und Orchester op. 86 fort und schließt triumphal mit der Vierten Sinfonie d-Moll op. 120 (in der von Schumann autorisierten Letztfassung 1851/53).

Faszinierend ist an dieser Deutung vor allem, dass sie eine wirkliche Auslegung ist. Im Gegensatz zu der (vor allem im kammerorchestralen Bereich vorherrschenden und an historisch informierte Manierismen anschließenden) Tendenz, Schumann durch eine klassizistische Brille zu sehen und möglichst nur das zu realisieren, was der Notentext faktisch vorgibt, scheuen Järvi und das formidable Orchester nicht davor zurück, die Musik nach eigenen Vorstellungen mit Verve und Überzeugung zu formen. Dazu gehört an vorderster Stelle, selbst kleine musikalische Einheiten zu dynamisieren, d.h. sie durch interpretatorische Mittel wie agogische Differenzierung und feine Lautstärkenabstufungen zu verlebendigen. Das zeigt sich schon in den ersten Takten der 'Ouvertüre', in denen das sehrende Eingangsmotiv von der wild auffahrenden Unterstimmen-Antwort fast überdeutlich abgesetzt wird. Der Musik kommt somit eine fast sprachnahe Direktheit und Prägnanz der Ausdrucksäußerung zu. Die Schärfung der Konturen umfasst neben den genannten interpretatorischen Mitteln auch feine farbliche Hervorhebungen und artikulatorische Kontraste. Nicht zuletzt wird durch diese auf verschiedenen Ebenen hergestellten Plastizität kleiner Einheiten und Einzelstimmen das orchestrale Gewebe auf geradezu kammermusikalisch Weise vitalisiert.

Im Konzertstück für vier Hörner und Orchester sind die exzellenten Solisten (Stefan Dohr, Elke Schulze Höckelmann, Volker Grewel†, Thomas Sonnen) aufgrund des stets weichen Klangs farblich stets mit dem Klangkörper verbunden, wissen aber, wo sie ihre Glanzlichter setzen dürfen (und tun dies freilich mit hörbarer Lust). Das Zusammenspiel der Solisten mit dem Orchester ist trotz der äußerst schmiegsamen Agogik außerordentlich präzise; hier zeigt sich, wie sehr das Orchester kammermusikalische Tugenden pflegt und welche Reaktionsschnelligkeit und Wendigkeit hier herrschen. Man hat den Eindruck, die Musiker säßen alle auf der vorderen Stuhlkante, selbst die innigen Kantilenen sind von einer der Musik unbedingt angemessenen Binnenspannung.

Der Höhepunkt dieser höchst empfehlenswerten Einspielung kommt am Schluss mit der Vierten Sinfonie d-Moll. Hier ist einfach alles am rechten Ort, jede interpretatorische Idee zündet. Mitreißend ist insbesondere die starke Dynamisierung jenes Abschnitts im ersten Satz, den man aufgrund der neuen Thematik eigentlich nicht Durchführung bezeichnen kann. Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie erhöhen bei der punktierten Motivik, die im Finalsatz als Hauptthema wiederaufgenommen wird, leicht das Tempo. Das verleiht dieser Stelle eine ungeheure Energie, die in älteren Aufnahmen der Jahrhundertmitte durch Überpunktierungen erreicht wurde. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen begeistert durchweg mit differenzierten Vibrato-Färbungen in den Streichern und wunderschöner Bläserkolorierung, auch etwa im Trio des Scherzos und im Seitenthema des Finalsatzes. Von der Tontechnik wurde der im Gegensatz zu den ersten Folgen hier auf äußerst angenehme Weise fülligere, weichere und stärker verschmelzende Klang optimal eingefangen. Das trägt wesentlich zu der fulminanten Wirkung dieser Einspielung bei.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert:
Booklet:


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