RMF: Rudolf Buchbinder spielt mit der Deutschen Kammerphilharmonie unter der Leitung von Paavo Järvi
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11/07/2015
11/07/2015
WIESBADEN - Der Begriff Kammerphilharmonie scheint ein
Widerspruch in sich. Dennoch trifft er sehr genau den Charakter dieses
international bedeutenden Spitzenorchesters, das in Frankfurt von
Musikstudenten gegründet wurde, beim Lockenhaus-Festival zu ersten Ehren kam
und seit Langem in einer Bremer Gesamtschule Heimat und Probenort hat. Als
Gründung von Musikern lebt dieses Orchesterkollektiv in besonderer Weise vom
Können und bedingungslosen Einsatz seiner einzelnen Mitglieder, wie man es aus
der Kammermusik kennt. Nimmt sich die Deutsche Kammerphilharmonie eines
Komponisten an, dann wird daraus ein „Projekt“, eine umfassende Neuentdeckung.
Mit Beethoven und Schumann ist dies bereits gelungen. Der Einstieg in ein
„Brahms-Projekt“ mit dem Klavierkonzert Nr. 1 d-moll op. 15 und der Sinfonie
Nr. 2 D-Dur op 73 wurde nun beim Rheingau Musik Festival in glücklichster Weise
getan. Mit Rudolf Buchbinder, Klavier, und dem langjährigen Chefdirigenten der
Bremer, Paavo Järvi, waren auch die führenden Partien beim Konzert im Kurhaus
prominent und erstklassig besetzt.
Andere Lebensumstände
Järvi formuliert im Interview den Widerspruch zwischen
„romantischer“ Musik und Gegenwart so, dass natürlich die Lebensumstände heute
völlig andere sind als in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und dass gerade deshalb
jede Zeit solche überzeitlich gültigen Werke wie die von Brahms neu entdecken
muss. In dieser Entdeckerfreude ergänzt sich der Dirigent mit den individuell
sehr eigenständigen Musikern des Orchesters hervorragend. Brahms neu lesen und
verstehen heißt für sie, den Gefühlen noch genauer auf den Grund zu gehen, die
Klugheit und das konstruktive Denken, mit denen der Komponist die Brüche und
Gefahren des romantischen Gefühlslebens sozusagen klärt und abfängt, neu
herauszuarbeiten. In dem Geniestreich des 23-jährigen Brahms, seinem 1.
Klavierkonzert, hört man darum gerade den Orchesterpart neu und aufregend.
Rudolf Buchbinder hat dieses Konzert mit Paavo Järvi schon
musiziert; er spielt den Solopart souverän und abgeklärt. Dennoch erschien das
Orchester noch um einen Grad schärfer und präsenter in jedem Detail. Im Geben
und Nehmen zwischen Orchester und Klavier entstanden die glücklichsten Momente,
die einen Brahms zeigen, der in vielfachen Nuancen des durchbrochenen Satzes
neue Wege des Klavierkonzerts bahnt.
Gegenüber der turbulenten Phase um 1854 mit der Freundschaft
zu Clara Schumann und Robert Schumanns Zusammenbruch, liegt die 2. Sinfonie
viel später, in einer Zeit des Erfolgs und der Sicherheit des eigenen Wegs. Und
gerade da geht Brahms immer tiefer in die kleinste musikalische Zelle, arbeitet
mit wenigen Tönen große Bögen heraus. Das machte sein musikalisches Denken für
die beginnende Moderne besonders interessant. Die Kammerphilharmonie zeigte,
dass sie mit ihrem kongenialen Leiter Paavo Järvi die Hauptperson dieses Abends
war. Ovationen und blitzende Zugaben (Brahms, Ungarische Tänze).
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