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06.2017
Thomas Ahnert



Dass sich zu Beginn eines Konzerts nicht, wie in den letzten Jahren üblich geworden, nicht nur der Konzertmeister verbeugt, sondern das gesamte Orchester - und natürlich auch am Ende -, das haben die Kissinger von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gelernt. Beim Eröffnungskonzert wurde noch geschmunzelt, jetzt, bei dem Konzert, das früher "Rosengala" hieß, war die Geste schon vertraut.
Sie macht ja auch Sinn, denn die Mitglieder der Bremer Kammerphilharmonie verstehen sich nicht als Kollektiv oder Tonerzeugungsbrigade, sondern als Solistengemeinschaft. In der kommt es wirklich auf jeden einzelnen an.
Der überwältigende Eindruck des Eröffnungskonzerts wiederholte sich. Mit Robert Schumanns "Manfred-Ouvertüre" eröffneten die Bremer das Konzert - ein Werk, das sie 1998 schon einmal mit Thomas Hengelbrock im Großen Saal gespielt hatten, damals allerdings als Teil der gesamten Schauspielmusik. Paavo Järvi zielte auf die glasklare Darstellung der emotionalen Kurven, auf die Nervosität der harmonischen Reibungen, auf Ermüdungen, auf eine stark differenzierte Dramatik und auf die bereits bekannte Transparenz.

Was herauskommt, wenn ein Dirigent und ein Solist sich wirklich mal absprechen können, das zeigte sich bei dem Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 37 von Ludwig van Beethoven mit Arcadi Volodos . Schon die recht ausgiebige Orchesterexposition, in der es mehr zu entdecken gab als nur Melodien, machte deutlich, dass es zu einem stark nuancierten Austausch kommen würde, der Solo und Tutti als Einheit verstand. Man konnte darüber schmunzeln, wie Volodos gegen Ende der Einleitung ein paar (Mannheimer) Raketen in das Orchester feuerte, um sich einzumischen, und dann die Stimmung sofort ins Lyrische zog. Der Eindruck des oft zitierten Neuhörens stellte sich ein, weil Volodos engsten Kontakt zum Orchester hielt und sich im Zusammenspiel auf Stimmen bezog, die wirklich zu hören war. Da hatte er viel zu tun dank der außergewöhnlichen Transparenz des Orchesters. Da konnte es auch einem Arcadi Volodos ausnahmsweise mal passieren, dass er im Eifer des Gefechts mit der linken Hand einen Halbton zu tief rutschte. Er wird der einzige gewesen sein, der sich darüber geärgert hat. Man wünschte sich nur manchmal, dass er sich, vor allem im zweiten Satz, ein bisschen mehr unter Hintanstellung seiner enormen Kraft an der Intimität des Orchesters orientiert hätte. Und dass die Kadenz des ersten Satzes nicht so stark nach Rachmaninow geklungen hätte.
Und dann Brahms' 1. Sinfonie. Die Themen sind ja im Großen und Ganzen bekannt. Aber die Details ...! Paavo Järvi hatte mit seinen Leuten die Partitur genauestens analysiert und jeder Stimme ihre Bedeutung gegeben, sie erkennbar gemacht im Gesamtzusammenhang. Aber er hatte es auch geschafft, die inneren Zusammenhänge herzustellen, den Spannungsfaden nie abreißen zu lassen. Und die Musik in eine moderne Klangsprache zu fassen. Besonders auffällig war das im letzten Satz mit dem berühmten Beethoven-Zitat und den choralartigen Auftürmungen. Da zog Järvi das Tempo so stark an, dass die Musik eine überraschend mechanistische Komponente wie bei Honeggers berühmtem "Pacific 231" bekam. Und plötzlich konnte das logisch erscheinen: Als Brahms die Sinfonie schrieb, knackten die Dampflokomotiven gerade die 100-km/h-Marke.

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