Paavo in Pärnu: Eine Järvi-Familienfestival-Affäre II
http://klassiker.welt.de/
„Gar nicht“, findet Paavo Järvi. Guten Nationalstolz nennt man das. Was Claudio Abbado und aktuell Riccardo Chailly mit dem Lucernce Festival Orchestra Recht und Iván Fischer mit dem Budapest Festival Orchestrabillig ist, dass will er auch wissen. Mit den besten Vorbildern vor Augen und Ohren. Esten und Elite, vor allem aber auch Freunde, das soll die Musikermischung sein. Auf dass die Künstler dieses kleinen Landes lernen können, den Blick weiten. Sein schöner Traum, der in erstaunlich kurzer Zeit Wirklichkeit wurde. Jetzt freilich potente Sponsoren für die weitere Zukunft finden muss. Für 2019 ist bereits eine Asientournee vereinbart. Und wenn man die wendige, flexible Truppe so hört, wie sie an jedem Probentag besser, zupackender wird, harmonischer verschmilzt, da ist man eigentlich nicht bange. Dieser manchmal ein wenig unterkühlt wirkende, technokratisch agierende, gar nicht viel Kunstsums machende Dirigent, er hat goldene Hände.
Findet später, wir sitzen jetzt in einer anderen, ebenfalls nicht wirklich ruhigen Konzerthausecke, Papa Neeme. Der beschwört wortreich Bruno Walter, Fritz Stiedry, Otto Klemperer, Kurt Sanderling und selbst Herbert von Karajan, die er in seiner Jugend in St. Petersburg alle hörte. Redet über Intuition und Verständnis, die Wichtigkeit der kleinen Geste, des lebendigen Gesichts. „Aber freundlich grinsen, das sollte ein Dirigent gar nicht. Ich muss nicht geliebt werden, ich muss etwas erreichen, effizient sein.“ Geliebt wird Neeme Järvi aber trotzdem. Auch von seinen Söhnen, obwohl, das hört man zwischen den Sätzen, die Hauptaufmerksamkeit der sich jetzt im besten Alter in ihrem ganzen Reichtum entfaltenden Karriere Paavos gilt…Aber Mama Liilia richtet das, verteilt ihre Sympathie gerechter. „Sie, die keine Musikerin ist, fungiert als die einzige Normale in der Familie, und wenn sie etwas anordnet oder verbietet, dann ist es auch so“, sagt Paavo, der es wissen muss. Und alle lieben sie Pärnu, „unsere kleine Sauna am Fluss, fünf Kilometer von hier“, spezifiziert Neeme.
Leichtigkeit des Ostseeseins. Der täglich mehrmalige Weg zwischen Hotel (für Spa-Besuche ist immer Zeit) und und Konzerthalle für Proben und Aufführungen lässt sich abwechslungsreich variieren. Einmal geht es am Tallinner Tor zwischen Erdwällen vorbei, dem einzig erhaltenen Stadteingang aus dem 17. Jahrhundert im ganzen Baltikum, oder der Weg führt durch die Strandanlagen entlang der Villa Ammende, einem Jugendstiljuwel, wo das Festival mit einem Kinderkonzert vertreten ist.
Abends dann sind Akademisten und Alumni zu hören, in einer bunten Mischung aus Mendelssohn, Tüür, Mozart, Biber, Schostakowitsch, Stenhammer und Kancheli. Die Begabungen teilen sich, Niveauunterschiede werden deutlich. Und auch ein paar Dirigierschüler, fünf von 16, müssen ran. Schnell merkt man, Hippster-Bart und Frack reichen nicht, der Unscheinbarste aber offenbart eine zupackende, furchtlose Musikalität, geleitet sicher die timide Geigerin. Natürlich ein Este! Neeme Järvi, der schon mittags bei der Probe eingriff, kann sich nicht halten, dirigiert auch im Sessel zufrieden mit. Wieder im blauen Sakko, offenbar des Maestros Lieblingsfarbe. Und hinten wuselnd die Helferlein, es gilt noch so viel zu stemmen und zu organisieren. Das 7. Pärnu Music Festival kommt deutlich auf Touren. Und ich nähere mich schon wieder Tallinn. Zwischen Dunstfeldern schwimmen Heuballen im letzten Abendäther auf der 90-minütigen Rückfahrt, erinnerungssatt.
http://klassiker.welt.de/2017/08/13/paavo-in-paernu-eine-jaervi-familienfestival-affaere-ii/
Manuel Brug
13.08.2017
Auch ich in Pärnu. Nachdenken bei der ersten morgendlichen Schwimmrunde (ist das sportlich hier!): Was mach den Charme, ja Zauber dieses fast verwunschenen, jedenfalls auf angenehme Weise aus der Zeit gefallenen Ortes aus? Die Konzentration der Musiker, die sich um das Zentrum Paavo Järvi sammeln, das ist das Eine. Und das Fehlen jeglicher Prätention allüberall. Man kommt in die Konzerte wie man mag, strandleger in kurzen Hosen oder groß aufgetufft mit Pumps als Waffen. In der Pause wird fleißig beim Cognac wie bei den Torten zugelangt. Sehr estnisch das. Doch vor das Auftreten haben die Konzertgötter die Proben gesetzt. Und deren sind viele hier. Die Halle brummt. Immer steht da irgendeiner am Pult, Paavo, Profi oder Anfänger. Das Festival fädelt langsam seine diversen Linien auf, Festival Orchestra, Neeme Järvi Geburtstagskonzerte, Kammermusik (etwa mit Florian Donderer und seinem Signum Quartett in der innen klassizistisch schlichten Elisabethkirche), Akademistenaktivitäten. Viel estnische und baltische Musik ist programmiert, Erkki-Sven Tüür, mit dem der damals noch vollbehaarte Paavo Järvi einst in einer Rockband spielte, kommt selbst, weil die so gute wie schöne littauische Akkordeonistin Ksenija Sidorova sein Solokonzert „Prophecy“ spielt.
Das tut sie freilich nur in lettischen Jurmala, wo das Pärnu Festival Orchestra, seinen ersten Auftritt außerhalb von Pärnu haben wird. Mit dem zweiten Orchesterprogramm (in beiden findet sich Musik der Nachbarn Russland, Finnland und Dänemark) geht es noch nach Turku, Kopenhagen und Stockholm. Denn bei Paavo Järvis Orchesteraktivitäten mag zwar ein gehöriger Schub Nostalgie mitschwingen, mit Erinnerungen an ein nie enden wollendes Sommerfrischeparadies – mit Betonung auf „Frische“, alte Fotos bei Schostakowitsch auf dem Schoß oder als junger Perkussionist, der dem urlaubenden Aram Chatchaturian dessen „Säbeltanz“ auf dem Xylophon vorspielt. Mit 18 Jahren war Schluss damit, Neeme Järvi wollte lieber in den ihm günstiger gesinnten USA seine Karriere weiterverfolgen.
„Und heute“, so reflektiert Paavo während eines Mini-Slots scheinbarerer Untätigkeit (in dem natürlich andauernd irgendwer seinen Kopf zur Garderobentür reinsteckt), „ist hier Internet das große Ding. Die Esten sind die Weltmeister im App-Erfinden. Alle haben hier Start Ups. Ich jetzt auch.“ Genau, nämlich das Pärnu Festival Orchester, dass er international berühmt machen möchte. Der Zeitpunkt ist günstig: nächstes Jahr hat Estland die EU-Ratspräsidentschaft inne, weil man 100 Jahre als (naja) Republik feiert. Und da hat er für drei Spielzeiten beim Kulturministerium Gelder losgeeist, um sein Ensemble auf dem glatten Klassikparkett bei den Großen debütieren zu lassen. Es ist reif dafür. Und so geht es im Januar los, mit einem neuen Tüür-Stück im Gepäck: 16. Tallinn, 18. Brüssel, 20. Zürich, 21. Köln, 22. Berlin, 23. Wien, 24. Luxemburg. Alles großen Konzerthallen bis hin zur Berliner Philharmonie haben sich ihm geöffnet, blind seinem guten Namen vertraut. Den keiner der Veranstalter hat bisher das Orchester gehört. Ein Wagnis.Auch ich in Pärnu. Nachdenken bei der ersten morgendlichen Schwimmrunde (ist das sportlich hier!): Was mach den Charme, ja Zauber dieses fast verwunschenen, jedenfalls auf angenehme Weise aus der Zeit gefallenen Ortes aus? Die Konzentration der Musiker, die sich um das Zentrum Paavo Järvi sammeln, das ist das Eine. Und das Fehlen jeglicher Prätention allüberall. Man kommt in die Konzerte wie man mag, strandleger in kurzen Hosen oder groß aufgetufft mit Pumps als Waffen. In der Pause wird fleißig beim Cognac wie bei den Torten zugelangt. Sehr estnisch das. Doch vor das Auftreten haben die Konzertgötter die Proben gesetzt. Und deren sind viele hier. Die Halle brummt. Immer steht da irgendeiner am Pult, Paavo, Profi oder Anfänger. Das Festival fädelt langsam seine diversen Linien auf, Festival Orchestra, Neeme Järvi Geburtstagskonzerte, Kammermusik (etwa mit Florian Donderer und seinem Signum Quartett in der innen klassizistisch schlichten Elisabethkirche), Akademistenaktivitäten. Viel estnische und baltische Musik ist programmiert, Erkki-Sven Tüür, mit dem der damals noch vollbehaarte Paavo Järvi einst in einer Rockband spielte, kommt selbst, weil die so gute wie schöne littauische Akkordeonistin Ksenija Sidorova sein Solokonzert „Prophecy“ spielt.
Das tut sie freilich nur in lettischen Jurmala, wo das Pärnu Festival Orchestra, seinen ersten Auftritt außerhalb von Pärnu haben wird. Mit dem zweiten Orchesterprogramm (in beiden findet sich Musik der Nachbarn Russland, Finnland und Dänemark) geht es noch nach Turku, Kopenhagen und Stockholm. Denn bei Paavo Järvis Orchesteraktivitäten mag zwar ein gehöriger Schub Nostalgie mitschwingen, mit Erinnerungen an ein nie enden wollendes Sommerfrischeparadies – mit Betonung auf „Frische“, alte Fotos bei Schostakowitsch auf dem Schoß oder als junger Perkussionist, der dem urlaubenden Aram Chatchaturian dessen „Säbeltanz“ auf dem Xylophon vorspielt. Mit 18 Jahren war Schluss damit, Neeme Järvi wollte lieber in den ihm günstiger gesinnten USA seine Karriere weiterverfolgen.
„Gar nicht“, findet Paavo Järvi. Guten Nationalstolz nennt man das. Was Claudio Abbado und aktuell Riccardo Chailly mit dem Lucernce Festival Orchestra Recht und Iván Fischer mit dem Budapest Festival Orchestrabillig ist, dass will er auch wissen. Mit den besten Vorbildern vor Augen und Ohren. Esten und Elite, vor allem aber auch Freunde, das soll die Musikermischung sein. Auf dass die Künstler dieses kleinen Landes lernen können, den Blick weiten. Sein schöner Traum, der in erstaunlich kurzer Zeit Wirklichkeit wurde. Jetzt freilich potente Sponsoren für die weitere Zukunft finden muss. Für 2019 ist bereits eine Asientournee vereinbart. Und wenn man die wendige, flexible Truppe so hört, wie sie an jedem Probentag besser, zupackender wird, harmonischer verschmilzt, da ist man eigentlich nicht bange. Dieser manchmal ein wenig unterkühlt wirkende, technokratisch agierende, gar nicht viel Kunstsums machende Dirigent, er hat goldene Hände.
Findet später, wir sitzen jetzt in einer anderen, ebenfalls nicht wirklich ruhigen Konzerthausecke, Papa Neeme. Der beschwört wortreich Bruno Walter, Fritz Stiedry, Otto Klemperer, Kurt Sanderling und selbst Herbert von Karajan, die er in seiner Jugend in St. Petersburg alle hörte. Redet über Intuition und Verständnis, die Wichtigkeit der kleinen Geste, des lebendigen Gesichts. „Aber freundlich grinsen, das sollte ein Dirigent gar nicht. Ich muss nicht geliebt werden, ich muss etwas erreichen, effizient sein.“ Geliebt wird Neeme Järvi aber trotzdem. Auch von seinen Söhnen, obwohl, das hört man zwischen den Sätzen, die Hauptaufmerksamkeit der sich jetzt im besten Alter in ihrem ganzen Reichtum entfaltenden Karriere Paavos gilt…Aber Mama Liilia richtet das, verteilt ihre Sympathie gerechter. „Sie, die keine Musikerin ist, fungiert als die einzige Normale in der Familie, und wenn sie etwas anordnet oder verbietet, dann ist es auch so“, sagt Paavo, der es wissen muss. Und alle lieben sie Pärnu, „unsere kleine Sauna am Fluss, fünf Kilometer von hier“, spezifiziert Neeme.
Leichtigkeit des Ostseeseins. Der täglich mehrmalige Weg zwischen Hotel (für Spa-Besuche ist immer Zeit) und und Konzerthalle für Proben und Aufführungen lässt sich abwechslungsreich variieren. Einmal geht es am Tallinner Tor zwischen Erdwällen vorbei, dem einzig erhaltenen Stadteingang aus dem 17. Jahrhundert im ganzen Baltikum, oder der Weg führt durch die Strandanlagen entlang der Villa Ammende, einem Jugendstiljuwel, wo das Festival mit einem Kinderkonzert vertreten ist.
Abends dann sind Akademisten und Alumni zu hören, in einer bunten Mischung aus Mendelssohn, Tüür, Mozart, Biber, Schostakowitsch, Stenhammer und Kancheli. Die Begabungen teilen sich, Niveauunterschiede werden deutlich. Und auch ein paar Dirigierschüler, fünf von 16, müssen ran. Schnell merkt man, Hippster-Bart und Frack reichen nicht, der Unscheinbarste aber offenbart eine zupackende, furchtlose Musikalität, geleitet sicher die timide Geigerin. Natürlich ein Este! Neeme Järvi, der schon mittags bei der Probe eingriff, kann sich nicht halten, dirigiert auch im Sessel zufrieden mit. Wieder im blauen Sakko, offenbar des Maestros Lieblingsfarbe. Und hinten wuselnd die Helferlein, es gilt noch so viel zu stemmen und zu organisieren. Das 7. Pärnu Music Festival kommt deutlich auf Touren. Und ich nähere mich schon wieder Tallinn. Zwischen Dunstfeldern schwimmen Heuballen im letzten Abendäther auf der 90-minütigen Rückfahrt, erinnerungssatt.
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