Das Beste aus beiden Welten - Paavo Järvi

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Paavo Järvi hat sich einen glänzenden Ruf als unermüdlicher, aber freundschaftlich arbeitender Orchestererzieher erworben – ein moderner Maestro par excellence. Nicht zuletzt seine Beethoven-Interpretationen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen haben international Furore gemacht. Nun gastiert der aus Estland stammende Dirigent mit den Bremern und dem Geiger Christian Tetzlaff im Goldenen Saal, um Haydn, Mozart und Schubert auf modernen Instrumenten, aber mit historischem Wissen neu zu deuten.

Pärnu ist ein stilles Seebad an der baltischen Küste südlich von Tallinn“, sagt Paavo Järvi schlicht. Herrlich aus der Zeit gefallen und doch auch behutsam modernisiert, so erscheint es heute – und der drei Kilometer lange, seichte Sandstrand besitzt speziellen Reiz. 1251 vom Deutschen Orden unter dem Namen Pernau gegründet, hat die Hansestadt an der nordöstlichen Rundung des Rigaer Meerbusens seit 1838 einen Aufschwung als Bade- und Kurort genommen. 1918 wurde nicht etwa in Tallinn, sondern hier Estlands Unabhängigkeit vom revolutionär zerfallenen Zarenreich ausgerufen und eine Republik installiert, die 1940 mit der Besatzung durch die Rote Armee ihr vorläufiges Ende fand. Nach dem Untergang der Sowjetunion und neugewonnener Souveränität hat auch die weitverzweigte estnische Musikerfamilie Järvi dort ihren alten seelischen Stützpunkt zurückgewonnen – und 2011 mit dem Pärnu Musikfestival ein florierendes künstlerisches Zentrum errichtet, in dem Paavo Järvi als Spiritus rector fungiert.

Kraft der Wurzeln

Vielleicht muss man Pärnu und ganz besonders das Festival erlebt haben, um den Musiker Paavo Järvi wirklich verstehen zu können. Herrscht in berühmteren Festspielhochburgen oft der Trubel und rückt mit seinem Lärm der Kunst auf den Pelz, gewinnt man in Pärnu noch den Eindruck, dass die Musik aus der vorhandenen Stille erwächst. Die Ablenkungen sind gering, davon profitiert auch das Publikum. Und man kann dort exemplarisch hören, wozu Paavo Järvi fähig ist: Bekannt für seine penible Probenarbeit bis zuletzt, erzielt er bei den Aufführungen dann noch ein spezielles Plus an Ausdruck und Leidenschaft. Mittlerweile kommt der ganze Järvi-Clan wieder jeden Sommer in Pärnu zusammen: Neeme, bald 81 und unvermindert aktiv, seine Frau Liilia und ihre drei Kinder, wobei die Söhne Paavo (Jahrgang 1962) und der frühere Tonkünstler-Chef Kristjan bekanntlich wie der Vater zum Taktstock gegriffen haben, während die Tochter Maarika Flötistin geworden ist; nicht zu vergessen deren Ehepartner und Kinder sowie weitere musizierende Verwandte aller Generationen.

Ein Schnappschuss …

Lange Zeit gab es keinen „westlicheren“ Ort in der Sowjetunion als Pärnu. Künstler wie Dmitrij Schostakowitsch und David Oistrach genossen diesen Fluchtpunkt der UdSSR – und ein berühmt gewordenes Foto zeigt den zehnjährigen Paavo mit seinem Vater Neeme und dem musikalischen Übervater Schostakowitsch. „Hinter der Kamera war Gustav Ernesaks, der estnische Chorleiter und Komponist, dessen Lied ‚Mu isamaa on minu arm‘ zu einer inoffiziellen Nationalhymne aller Esten während der sowjetischen Besatzung wurde“, erzählt Paavo Järvi. Die Emigration seiner Familie 1980 in die USA war eine Art von Befreiung und zugleich ein tiefer Einschnitt, ein Abschied von der Heimat: „Die Erinnerungen an die Sommer meiner Kindheit in Pärnu rückten immer mehr in weite, nostalgische Ferne.“ Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der erneuerten Unabhängigkeit Estlands war den Järvis die Rückkehr erlaubt – der Rest ist bereits Festspielgeschichte.

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