Lustvoll

sueddeutsche.de
Klaus Kalchschmid
1.07.2018

Die Philharmoniker unter Paavo Järvi


Kaum zu glauben, dass Anton Bruckners d-Moll-Symphonie seit 70 Jahre von den Münchner Philharmonikern nicht mehr gespielt wurde - diesem legendären Bruckner-Orchester! Eine Symphonie, die Bruckner später "annullierte", aber weder vernichtete noch umarbeitete. Selbst ein glühender Verehrer wie Sergiu Celibidache hielt nichts vor der Dritten für aufführenswert. Vom Symphonieorchester des BR gibt es dagegen immerhin einen großartigen Livemitschnitt dieser frühen Symphonie aus dem Jahr 1960 unter Ferdinand Leitner.

Paavo Järvi ist bei den Philharmonikern für ausgefallene Programme bekannt und hat hier zuletzt Bruckners ebenfalls unterschätze Sechste dirigiert. Nun stellte er die "Nullte" genannte d-Moll-Symphonie an den Anfang eines Konzerts, das mit den humoristischen "Symphonischen Metamorphosen über Themen Carl Maria von Webers" von Paul Hindemith endete. Järvi ging es bei der Symphonie von 1869 weniger um Feinschliff als darum, die Kühn- und Schroffheiten hörbar zu machen dieses in Aufbau und musikalischer Verarbeitung so stark vom Kanon der Bruckner-Symphonien abweichenden, knapp einstündigen Werks. Deshalb wählte er für das Allegro des Kopfsatzes ein flottes, prägnantes Tempo, war das Andante keineswegs weihevoll, klang das Scherzo oft nach Ballettmusik von Verdi und strotzte das Finale vor Energie. Bei Hindemith stand unverhohlener Spott im Mittelpunkt: So macht der Komponist aus der "Turandot"-Ouvertüre Webers im dritten Satz eine immer mehr kreiselnde und sich steigernde Musik, die in eine rhythmisch pointierte Unterhaltungsmusik wie aus der Music Hall mündet, während im Marsch des vierten Satzes mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Das kosteten die Philharmoniker unter Järvi lustvoll aus.

Zwischen diesen beiden kontrastierenden, aber charakteristisch eigenwilligen Werken nahm sich Béla Bartóks janusköpfiges drittes Klavierkonzert wie ein Fremdkörper aus, zumal Piotr Anderszewski zwar dem "Adagio religioso" eine schöne Aura verlieh, aber in den Ecksätzen das oft trockene Parlando des Klavierparts selten pointiert darbot.

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