Alles, was Odem hat

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8.07.2018

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi verabschiedeten sich für dieses Jahr mit Mendelssohns "Lobgesang".




Es war für ein Festivalorchester ein standesgemäßer Abschied vom Kissinger Sommer 2018 - der natürlich noch eine Woche weitergeht. Mit ihrem vierten Konzert in diesem Jahr und mit einem klangmächtigen Werk sagten die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Chefdirigent Paavo Järvi keineswegs leise Servus: mit Felix Mendelssohn-Bartholdys 2. Sinfonie, die vor allem unter ihrem Beinamen "Lobgesang" bekannt ist.
Das ist ein Werk, das die volle Logistik braucht auf dem erweiterten Podium des Max-Littmann-Saales für das Orchester in Komplettbesetzung und den 50-köpfigen oder -stimmigen WDR-Rundfunkchor aus Köln, dessen Mitglieder dieses Mal nicht auf weiß verpackten Bierbänken Platz nehmen konnten, sondern auf einzelnen, bequemen Stühlen. Denn wie bei Beethoven, der es mit seiner Neunten vorgemacht hat, müssen der Chor und auch die Solisten bis zum vierten Satz warten.
Es würde nicht allzu lange dauern. Das zeigte schon der erste Satz, dessen Einleitung eine schwer umzusetzende Spielanweisung mitbekommen hat: "Maestoso con moto". Wie gestaltet man ein "Majestätisch mit Bewegung"? Die Neigung vieler Dirigenten geht dahin, die majestätischen Fanfaren der Posaunen und später auch Trompeten laut, langsam und staatstragend spielen zu lassen. Nur kommen sie dann, wenn sie das Tempo halten wollen, mit den Streichern und Holzbläsern in die Bredouille, die in Behäbigkeit verfallen müssen. Das wäre nichts für die Bremer.


Die zügigere Variante


Paavo Järvi entschied sich für die bessere Lösung. Er orientierte sich in seinem Grundtempo an den Erfordernissen der Streicher und Holzbläser. Und er ließ die Fanfaren zügig spielen, aber in der Artikulation bis an die Ränder der Notenwerte, um sie gefühlt zu verbreitern. So bewahrte er die sinnfällig vorwärtstreibende, ein bischen nervöse Stimmung des Satzes. Denn schließlich ist das Loben nicht nur eine sehr persönliche Angelegenheit, sondern die Aufforderung hat auch immer etwas mit Unruhe und mehr oder weniger gebremster Ungeduld zu tun zu tun. Das hatte auch mit dem singenden, für Mendelssohn typischen Schwung zu tun, dieser Aufbruchstimmung, die in der Hebriden-Ouvertüre ebenso plausibel und angebracht ist wie im "Lobgesang."
Der große Vorteil dieser Spielhaltung trieb in schlüssiger Konsequenz in allen drei Sätzen - auch im dritten, dem langsameren Adagio religioso, auf den ersten Einsatz des Chores im großen Finalsatz zu. Nicht nur durch die häufigeren dominierenden thematischen Zitate aus dem Finale, sondern weil man, wenn man es nicht ohnehin wusste, so doch spürte, dass da noch etwas Besonderes kommen musste.


Überwältigender Start des Chores


Der erste Einsatz des Chores (Einstudierung: Philipp Ahmann) war überwältigend: aus dem Stand heraus messerscharf und präzise und unglaublich engagiert: "Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!" Wenn 50 Profis "Voll-Odem" geben, dann entfacht das eine umwerfende Wirkung, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Aber offen gestanden hatte man vom WDR-Chor auch nichts anderes erwartet. Er ist nun einmal einer der besten Chöre im Lande. So wurde der Schlusschoral, "Ihr Völker, bringet her dem Herrn Ehre und Macht" zum triumphalen Höhepunkt der Aufführung. Aber der emotionale war der zweistrophige Choral "Nun danket alle Gott", dessen erste Strophe a cappella gesungen wird. Hier legt Paavo Järvi sogar den Taktstock weg, um die Artikulation mit den Händen zu modellieren. Auch die Passagen gemeinsam mit den Solisten waren wunderbar ausbalanciert.


Gut zusammenpassende Solisten

Die drei Solisten fügten sich ausgezeichnet in das Konzept der melodischen Flüssigkeit und emotionalen Prägnanz ein. Die Sopranistin Christina Landshamer fand zu einem schönen Ton der Innerlichkeit und Innigkeit, weit weg von jeder opernhaften Dramatik. Den stärksten Eindruck hinterließ sie bei "Ich harrete des Herrn, und der neigte sich zu mir und hörte mein Flehn", gleichsam im Duett mit dem wunderbar geblasenen Horn. Es war verständlich, dass Christina Landshamer am Ende ihre Blumen an die 1. Hornistin Elke Schulze-Höckelmann weitergab. Von der Mezzosopranistin Marie Henriette Reinhold hätte man gerne mehr gehört, aber Mendelssohn hat ihr leider nur zwei Sätze spendiert.
Dass der Tenor Patrick Grahl aus der Schule der Thomaner kommt, merkte man. Er sang die Rezitative in der typischen erzählenden Art ganz nah am Text, und er vermied wie Christina Landshamer jede virtuose Attitüde, was natürlich in dem schön flüssig gesungenen Duett "Drum sing ich mit meinem Liede" besonders auffiel, aber auch seiner Arie "Er zählet unsre Tränen" unverstellte Wirkung gab.

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