Paavo Järvi in Zürich: Der Steuermann geht an Bord

nzz.ch
Thomas Schacher
11.04.2019

Die Spielzeit 2019/20 der Tonhalle-Gesellschaft Zürich beginnt im Herbst und steht erstmals nun auch offiziell unter der Leitung des international gefeierten Dirigenten Paavo Järvi. Dessen Einstand als Musikdirektor bringt etliche Neuerungen mit sich.




Haben gut lachen: Tonhalle-Präsident Martin Vollenwyder (links), Musikdirektor Paavo Järvi und Tonhalle-Intendantin Ilona Schmiel. (Bild: Priska Ketterer / Tonhalle Zürich)

Er habe in seinem ganzen bisherigen Leben noch nie so früh zu einer Medienorientierung antreten müssen, scherzt Paavo Järvi, sichtlich gutgelaunt, anlässlich der morgendlichen Saison-Pressekonferenz in der Tonhalle Maag. Am Abend zuvor hat er das Tonhalle-Orchester in Werken von Messiaen und Beethoven dirigiert, am Mittag steht bereits ein Lunchkonzert und am Abend die erste von zwei Wiederholungen des Programms bevor. Ilona Schmiel, die Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, sagt denn auch bei ihrer Begrüssung mit leiser Ironie, sie habe das Gefühl, irgendwie sei Järvi schon lange Chefdirigent.

Tatsächlich dirigiert Järvi, der vor zwei Jahren zum Chefdirigenten und Musikdirektor des Tonhalle-Orchesters Zürich gewählt wurde, in der laufenden Spielzeit bereits fünf verschiedene Programme. Überdies hat er im Herbst eine erfolgreiche Asien-Tournee des Orchesters angeführt. Mit der Saison 2019/20 beginnt Järvis Amtszeit nun aber ganz offiziell. Der Vertrag des 56 Jahre alten Esten, der weiterhin Chefdirigent des NHK Symphony Orchestra in Tokio und künstlerischer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen bleibt, dauert vorerst fünf Jahre.

«Bekanntes neben Unerwartetem»

Der in Tallinn geborene Järvi bringt in seiner ersten Saison gewissermassen seine nähere und weitere Heimat nach Zürich: Musik und Musiker aus Estland, Lettland, Russland, Schweden und Finnland. Einen starken Akzent setzt der neue Chef gleich bei seinem Antrittskonzert im Oktober mit der nahezu unbekannten Vokalsinfonie «Kullervo» von Jean Sibelius. Dass Järvi ausschliesslich nordische Raritäten auftischen würde, braucht indes niemand zu befürchten: Im Programm finden sich beispielsweise auch alle sechs Sinfonien Peter Tschaikowskys, die zudem auf Tonträger eingespielt werden. «Sehr Bekanntes neben Unerwartetem» ist der Leitspruch, dem Järvi bei seiner Programmgestaltung folgt.

Neuer Inhaber des «Creative Chair» ist der estnische Komponist Erkki-Sven Tüür, ein Freund und Weggefährte. In seiner Heimat geniesst Tüür den Bekanntheitsgrad von Arvo Pärt, in Zürich darf er nun entdeckt werden. Zwei seiner hier gespielten Werke sind sogar Schweizerische Erstaufführungen, zum Beispiel seine «Prophecy» für Akkordeon und Orchester. Neben der Lettin Ksenija Sidorova, die hier den Solopart spielt, setzen auch der schwedische Klarinettist Martin Fröst und der finnische Geiger Pekka Kuusisto in diversen Programmen nordische Akzente.

Das Beethoven-Jahr 2020 anlässlich des 250. Geburtstages des Klassikers wird in der Tonhalle wohltuend zurückhaltend und durchaus originell gefeiert. Man spielt nicht, wie überall, die Sinfonien und Konzerte, sondern eine halbszenische Aufführung der Oper «Fidelio» in der Regie von Eva Buchmann. Das Belcea Quartet interpretiert, verteilt auf zwei Spielzeiten, alle 16 Streichquartette. Und in dem Projekt #bebeethoven spürt der Regisseur und Theatermann Iñigo Giner Miranda in einer multimedialen Performance dem Erneuerer Beethoven nach.

Ein- und Ausblicke

Bei den Konzertformaten gibt es eine Neuerung: Die «Rush Hour» lädt zu einem kurzen Konzert im Saal ein, woran sich eine Jam-Session mit Mitgliedern des Tonhalle-Orchesters im Foyer anschliesst. Neu ist auch die von Järvi initiierte «Conductor’s Academy», in der junge Dirigenten und Dirigentinnen in die Kunst des Metiers eingeführt werden und dabei auch Einblicke in das Management eines Konzerthauses gewinnen können. Ausgebaut auf drei Abende wird die Reihe «visual & staged», in der Frank Strobel unter anderem die Filmmusik zu «Metropolis» dirigiert.

Bei den Solisten kann man sich auf Isabelle Faust, Sol Gabetta, Lisa Batiashvili, Anja Harteros oder Frank Peter Zimmermann freuen. Bei den Gastdirigenten gibt es ein Wiedersehen unter anderen mit David Zinman, Herbert Blomstedt, John Eliot Gardiner, Christoph von Dohnányi und Alondra de la Parra. Heinz Holliger dirigiert im Rahmen von «Focus Contemporary» ein Konzert zu seinem 80. Geburtstag, bei dem Patricia Kopatchinskaja Holligers Violinkonzert interpretiert. Und Krzysztof Penderecki bringt am Chinesischen Neujahrsfest seine 6. Sinfonie «Chinesische Lieder» für Bariton und Orchester höchstpersönlich nach Zürich.

Comments

Popular Posts