Kissinger Sommer: Trifonov war wieder da

infranken.de
ThomasAhnert
8.07.2019

Der Titel des Konzerts "Ein Quantum Verstörung" passte gut zu der Zusammenarbeit zwischen der Bremer Kammerphilharmonie und Daniil Trifonov.



Nach Robert Schumanns Klavierkonzert nahm Daniil Trifonov die Ovationen der Begeisterung entgegen. Das Orchester bekam allerdings genauso viel Beifall von dem hingerissenen Publikum. Foto: Gerhild Ahnert

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Paavo Järvi und Daniil Trifonov am Flügel ist mittlerweile auch in Bad Kissingen marketingtechnsich ein Selbstläufer. Die Begegnung war eines der Konzerte, die so gut verkauft waren, dass der Grüne Saal geöffnet werden musste. Viele Besucher waren von auswärts angereist, schon im Foyer des Regentenbaus lag erwartungsvolle Spannung in der Luft. Ein bisschen lag es sicher auch daran, dass mit der Fokussierung auf Kompositionen von Robert Schumann Verkraftbares zu erwarten war.

Aber auf das Aufeinandertreffen von Solist und Orchester musste das Publikum noch etwas warten. Dazwischen stand die "Manfred-Ouvertüre" von - klar - Schumann. Sie machte deutlich, was passiert, wenn ein Orchester hinter einer basisdemokratisch erarbeiteten Interpretation steht: ein druckvolles Musizieren vom ersten Ton an, weil jeder weiß, wo die Reise hinführen soll und hinter den Zielen steht, eine hohe, kontrastreiche Emotionalität, die die Musik so interessant macht und ein hochgradig genaues Musizieren beidem sich niemand hinter dem anderen versteckt. Überwältigender und mitreißender kann ein Konzertbeginn kaum sein.

Und dann Daniil Trifonov mit - klar - Schumanns Klavierkonzert a-moll op. 54 (ein weiteres gibt es ohnehin nicht). Schon der erste Akkord machte klar, dass keiner dem anderen etwas schenken würde. Trifonov spielte es mit dem erwartbaren Zugriff jenseits aller technischen Vorbehalte und mit vielen Klangfarben. Er machte den romantischen Geist deutlich, der in dieser Musik steckt und auf den wohl der Titel des Konzerts zielte: "Ein Quantum Verstörung". Wobei die Kadenz des ersten Satzes, auf die das Orchester mit größter Unerbittlichkeit zugesteuert war, wirklich zum Höhepunkt wurde. Denn Trifonov gestaltete hier ein klangliches Spektrum, das von leiser Sinnlichkeit bis bis zum Pleno-Klang einer Orgel reichte. Das war schon großes Kino, was er da jenseits der übliche Vorstellungen ablieferte.

Aber bei aller Begeisterung für den Techniker und Gestalter Trifonov konnte man eine höchst ärgerliche Beobachtung machen, die seinen Ruf des Genies relativierte, die durchaus auch "ein Quantum Verstörung" auslöste. Er spielte mit einer sehr freien, oft spontan wirkenden Agogik, beschleunigte und verlangsamte (eher selten) nach Herzenslust, als würde er eine Klaviersonate spielen. Das kann er natürlich machen, und das macht zugegebenermaßen die Musik auch spannend und interessant. Aber es waren Trifonovs einsame Entscheidungen. Er spielte mit geradezu autistischer Abgeschottetheit, interessierte sich nicht im Geringsten für das, was hinter beziehungsweise neben ihm geschah. Das Orchester war ihm völlig gleichgültig; nicht einmal nahm er Blickkontakt mit ihm auf. Dass der Begriff "Konzert" vom lateinischen "concertare", also "miteinander streiten" kommt, wobei die Betonung auf "miteinander" liegt, war bei ihm nicht nachvollziehbar.

Dass das Konzert trotzdem überwältigend wirkte, lag letztlich nicht an Trifonov, der mit einem schwächeren Dirigenten Schiffbruch erlitten hätte, wenn er es überhaupt bemerkt hätte, sondern an Paavo Järvi.Der ließ sich nicht abhängen, sondern beobachtete Trifonov ganz genau, schaute wie ein Luchs auf auf seine Finger und gab die unberechenbaren Impulse an sein Orchester weiter, bei dem er sich darauf verlassen konnte, dass es spontan reagierte. So endete der erste Satz etwas schneller, als er begonnen hatte - allerdings auch deshalb, weil es Järvi gelang, im Gegenzug auch mal Trifonov unter Druck zu setzen. Der zweite Satz war da weniger empfindlich, und im dritten hatte der Solist sich wohl dazu entschlossen, sich stärker in die Orchesterdisziplin einbinden zu lassen.

Und weil die Kammerphilharmonie starke Konzepte hatte, ging die Sache auch wirklich gut aus.

Und schließlich - klar - Schumanns 1. Sinfonie, die "Frühlingssinfonie", die von einer derartigen Aufbruchstimmung geprägt war, dass man endlich wieder einmal den Titel verstehen konnte: Wie bei den Bremern nicht anders zu erwarten, hochvirtuos und mitreißend musiziert. Und wieder mal mit einer kammermusikalischen Klarheit, die die Baupläne des Komponisten wunderbar verdeutlichte, seine Satzübergreifende strukturelle Denkweise.

Und im letzten Satz konnte man sogar auch mal lachen: Die Dialoge zwischen den Registern bekamen plötzlich eine witzige Dimension: Da hatte man auf einmal den Eindruck, als würde Paavo Järvi sein Vergnügen daran haben, Mendelssohns Elfen immer wieder gegen eine Brahms-Mauer rennen zu lassen. In gewisser Weise war auch das Verstörung. Denn wer Humor sagt, denkt nicht zu allererst an Robert Schumann.

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