Eindrucksvoll breite Klangfarbenpalette

ksta.de
Stefan Rütter
2.03.2020

Das NHK Symphony Orchestra Tokyo spielt Toru Takemitsus „How Slow the Wind“ – und man meint, den seidenmatten Firnis eines an Debussy und Ravel geschulten französischen Klangkörpers zu vernehmen. Dann liegt Bruckners „Siebte“ auf den Pulten – und aus der Mitte leuchtet die warme Bronzelegierung von Hörnern und Celli, wie man sie aus der besten deutschen Orchestertradition kennt. Chamäleonartige Anpassungsfähigkeit? Man sollte wohl eher von Flexibilität reden, von stilistischem Einfühlungsvermögen und einer eindrucksvoll breiten Klangfarbenpalette, die das Meisterkonzert des japanischen Eliteensembles in der Philharmonie auszeichneten.

Dabei gelang nicht alles gleichermaßen gut. Nach Takemitsus delikater, in Komposition wie Ausführung hinreißend fein abgemischter Harmonie- und Klangfarbenstudie bereitete Schumanns Cellokonzert doch eine leichte Enttäuschung. Die Orchestersprache des späten Schumann mit ihren insistierenden Wiederholungen und rhythmischen Schleifen schien die Japaner so gar nicht mobilisieren zu können. Das legte offenbar auch einen leichten Mehltau auf die Gestaltungskräfte der Solistin Sol Gabetta, die fast zaghaft einstieg, den romantischen Balladenton nicht recht finden wollte. Dabei war das alles untadelig gespielt, Gabettas fein gezeichnete Figuration ebenso wie der durchsichtige Orchesterpart, in dem besonders die mirakulös präzisen Holzbläsereinsätze faszinierten.


Entspannt und durchlässig


Deutlich interessanter war die Lesart von Anton Bruckners siebter Sinfonie – wer Klischees nicht fürchtet, konnte hier eine glückliche Verbindung katholischer Weihestimmung und konfuzianischer Gelassenheit konstatieren. Das lag nicht zuletzt am Chefdirigenten Paavo Järvi, den man an der Spitze anderer Orchester schon sehr viel autoritärer, schneidiger erlebt hat. Järvi setzte auf das hohe Maß an orchestraler Selbstorganisation, ermöglichte ein druckloses, selbst in der emotionalen Vertiefung des langsamen Satzes entspannt und durchlässig bleibendes Spiel. Weniger stark wirkte die Interpretation dort, wo Bruckner selbst seine glaubensfeste Klangarchitektur unter Beschuss nimmt – etwa in der Katastrophe der Kopfsatz-Durchführung, die dann doch arg mild und gemessen hereinbrach.

Järvi, der gelernte Schlagzeuger, ist immer da am stärksten, wo er mit Temporelationen und metrischen Proportionen arbeiten kann. Das Scherzo mit seinem gleichmäßig pulsierenden Dreiertakt lief geradezu mechanisch ab, dafür gestaltete der Maestro das Finale mit bezwingend klarem Timing. Ähnlich lebte Järvis Lieblings-Zugabe, Sibelius’ „Valse triste“, vor allem aus ihren differenziert ausformulierten Tempo-Übergängen.

Eine bevorzugte Zugabe hat auch Sol Gabetta: Als sich in Peteris Vasks „Dolcissimo“ die schöne Stimme der Cellistin über die elegische Cellolinie breitete, da wurde es im Saal so mäuschenstill wie nirgends sonst an diesem langen Abend.

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