CONCERT REVIEW: Der neue Chef
And here's another review (12.12.2005) sent to paavoproject by Carola Finkel, this time from the Frankfurter Rundschau:
Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester in der Alten Oper
Von HANS-JÜRGEN LINKE
Olli Mustonen wiegt sich langsam ein in Beethovens Klavierkonzert c-Moll, und als sein Solo-Part beginnt, wird es theatralisch. Er scheint völlig versunken, die Hände machen sich selbständig und umflattern ihn wie unbotmäßige, pathetische Schmetterlinge. Aber man verzeiht ihm diese Marotte. Denn Olli Mustonen weiß andererseits den Klavierpart dermaßen präsent, ausdrucksreich und emotional differenziert zu gestalten, dass man über sein Händetheater leicht hinwegsehen kann. Und wer weiß, vielleicht hat es ihm ja sogar geholfen.
Mit Sicherheit geholfen und einen gewichtigen Beitrag zu zu der enorm intensiven Wirkung des Konzerts hat das hr-Sinfonieorchester unter seinem künftigen Dirigenten Paavo Järvi geleistet. Beethoven gestaltet in seinem dritten Klavierkonzert keine Konfrontation, sondern ein Ineinander und ein Auseinander-Hervorgehen von Solist und Orchester; das wurde präzise und mit feinsten Übergängen gestaltet.
Eine lange Leinefür den Pianisten
Mustonen erhält viel Raum, in dem er sich agogisch aus dem Orchester lösen und wieder in die Symbiose zurückkehren kann. Järvi muss dabei den Orchesterpart nicht mit rechthaberischer Betonung des Metrums ausstatten, alles bleibt delikat und elastisch, und der Pianist nutzt die lange Leine ausgiebig, um Spannung zu auf- und wieder abzubauen, Distanz zu finden, zurückzukehren. Und so war dieses Klavierkonzert der Höhepunkt des Konzertabends im Großen Saal der Alten Oper, wo sich Paavo Järvi zum ersten Mal nicht als Gastdirigent, sondern als künftiger Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters präsentierte.
Auch dem aktuellen Eindruck nach hat der Hessische Rundfunk wiederum eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Järvi pflegt einen recht vitalen Stil, der stets mit Präzision, einer denkenden Zurückhaltung und sensiblen Klanggestaltung einhergeht. Er bevorzugt eher ein rundes Klangbild, das Schärfen umso klarer hervortreten lässt, und legt Wert auf einen fließenden, organischen und formal geschlossenen Gesamteindruck. Das ausgezeichnet vorbereitete und enorm engagiert zu Werke gehende Orchester ist in der Lage, genau diese Qualitäten zu produzieren. Bevor man alles beim hr-Sinfonieorchester demnächst für selbstverständlich hält, sollte man vielleicht noch einmal anmerken, dass es nicht allzu viele Klangkörper gibt, die das auf diesem Niveau umsetzen könnten.
Im Eröffnungssück des Abends, Weberns Bearbeitung von Bachs Ricercare a 6, kam die verfremdende Orchestrierung Weberns als differenziertes klangliches Ereignis mit subtilem dramatischem Potenzial zum Tragen, nicht als Arbeit eines sezierenden Analytikers, sondern eines klangsinnlich konzipierenden Komponisten, dessen radikale motivisch-strukturierende Arbeit kaum dynamische Entwicklung, sondern nur ein gleichmäßig ausgeleuchtetes Klangbild duldet, in dem die Kanten behutsam geglättet sind.
In der nach der Pause gespielten sechsten Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, entstanden 1924/25, war das Ergebnis geradezu überwältigend. Nielsen ist ein Großsinfoniker und möglicherweise auch Großmystiker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Mit dem einen Teil seiner Musikauffassung, der noch in der Romantik wurzelt, malt er zarte, linienreine und farbreiche bukolische Gemälde, rhythmisiert übersichtlich, aber nicht immer geradeaus; der andere Teil aber fasst skeptisch die Moderne ins Auge, konzipiert Überlagerungen und Verdichtungen, in denen stark perkussiv geprägte Strukturen und recht freitonale Passagen entstehen, in denen die Konzentration der Ereignisdichte nicht unbedingt dynamische, sondern vor allem agogische und intensitätssteigernde Folgen hat.
Järvi zeichnet die Gleichzeitigkeit von Zurückhaltung und Voranstürmen, das energiereiche Auf-der-Stelle-Treten und den entspannten, aufgeräumten Blick nach rückwärts. Nielsens Überlagerungstechniken, die zuweilen durchaus an Ives erinnern, erscheinen in filigraner Durchhörbarkeit, und das Klangbild behält bei all dem eine gewisse Weichheit. Keine wattig-gebremste, sondern eine seidenweiche, beherrschte, so dass die heterogenen Kompositionstechniken und Musikauffassungen, die bei Nielsen nebeneinander stehen, keinen Eindruck von Zerrissenheit hervorrufen. Man wird sich auch in Zukunft auf die Konzerte des hr-Sinfonieorchesters freuen können.
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