CD REVIEW: Norwegische Tänze - Werke von Edvard Grieg

Friederike Westerhaus of Radio Bremen reviews Paavo's new Grieg: Norwegian Dances CD on the NDR Kultur website:
Paavo Järvi dirigiert Grieg Estnisches Nationales

Vorgestellt von Friederike Westerhaus

Sendetermin: 26. April 2006, 15.30 Uhr

Es gibt Menschen, die behaupten, die klassische Plattenindustrie stecke in der Krise. Wenn man sich aber allein die CD-Neuerscheinungen des Dirigenten Paavo Järvi anschaut, mag man das nicht glauben: regelmäßig alle paar Monate ein neuer Silberling mit Werken quer durchs Repertoire und Orchestern und Solisten quer durch die Kontinente. Fast zeitgleich erscheinen in diesen Wochen zwei neue CDs des umtriebigen Dirigenten: Werke von Bartok und Lutoslawski mit dem Cincinnati Symphony Orchestra, Beethovens Klavierkonzerte 3 und 5 mit Ikuyo Nakamichi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (nur in Japan und bei der DDKB) und die CD "Norwegian Dances" mit dem Estnischen Nationalen Symphonieorchester. Darauf zu hören: Werke von Edvard Grieg, unter anderem die Norwegischen und die Symphonischen Tänzen sowie die Holberg-Suite. Nach "Peer Gynt" bereits die zweite Grieg-CD, die der gebürtige Este, der mit seiner Familie 1980 wegen der russischen Okkupation nach Amerika auswanderte, mit dem Estnischen Nationalen Symphonieorchester eingespielt hat. Friederike Westerhaus stellt diese CD vor.

Besonders verbunden

Das Estnische Nationale Symphonieorchester - keines jener Weltklasse-Orchester, mit denen der Dirigent Paavo Järvi sonst oft zusammenarbeitet. Und doch fühlt sich der gebürtige Este gerade diesem Orchester besonders verbunden.

"Als wir Estland verlassen haben, wurde Estland für uns plötzlich so eine Art magischer Ort - fast so etwas wie ein "Heiliges Land", weil wir nicht zurückgehen konnten, und weil wir immer versucht haben, von außen zu helfen."

Inzwischen kann er zurück, Estland ist längst wieder unabhängig. Doch als Künstlerischer Berater des Orchesters sieht er sich noch heute Schwierigkeiten gegenüber, die für andere Orchester undenkbar wären: durch den finanziell äußerst eingeschränkten Rahmen sind vor allem die Streichinstrumente eher mittelmäßig, vielfach wird aus handgeschriebenen Noten gespielt, weil die Leihgebühren zu teuer sind. Einen Ausweg aus der schwierigen Situation sieht Järvi vor allem in CD-Produktionen. Und die internationale Resonanz gibt ihm recht: für die Sibelius-Kantaten gab’s den Grammy, Griegs "Peer-Gynt-Suite" wurde kürzlich mit dem 1. BBC Music Magazine Award ausgezeichnet.

Besonders engagiertes Spiel

Auch die neue Grieg-CD "Norwegische Tänze" ist zweifellos angetan, die musikalische Glaubwürdigkeit und das Ansehen des Orchesters erheblich zu steigern. Järvi scheint die Musiker zu einem besonders engagierten Spiel zu motivieren: ein kraftvoller, runder, homogener Klang, eine ausdifferenzierte Dynamik, eine reiche Farbigkeit.

Besonderer Pluspunkt der Aufnahme ist das Gespür für den volkstümlich tänzerischen Gehalt der Musik Griegs - eine natürliche, organische Interpretation, bei der die innere Verbundenheit der musikalischen Idiome Norwegens und Estlands ganz sicher eine große Rolle spielt. Gekünstelt klingt da nichts. Sei es beispielsweise in den schlichten, gesanglichen Passagen des 4. Symphonischen Tanzes op 64 oder in den geradezu entfesselt wirkenden, burschikosen Momenten des vierten Norwegischen Tanzes op. 35.

Eher fremd für das Orchester: die barocken Muster der Holberg-Suite. Doch Järvi versteht es, die Musiker behutsam in eine historisch informierte Richtung zu lenken, ohne diese Herangehensweise aufgesetzt wirken zu lassen.

Eine lebendige, mitreißende CD, der eines besonders anzumerken ist: die Freude Järvis und der Musiker des Estnische Nationale Symphonieorchester darüber, dass es Ihnen heute überhaupt möglich ist, befreit zusammen Musik zu machen.

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