CONCERT REVIEW: Frankfurt Radio, Paavo Järvi and Gautier Capuçon








Die Ökonomie der Ideen
Paavo Järvis hr-Sinfonieorchester und die zentraleuropäische Romantik
Von Hans-Jürgen Linke
Gustav Mahler fand, Johannes Brahms arbeite zwar mit dem bisschen, was ihm einfalle, recht gut, nur leider so wenig dramatisch. Brahms seinerseits bewunderte Antonin Dvorák für dessen Ideenfülle. So dass eine Konfrontation der drei Herren anhand dreier in vergleichsweise kurzem zeitlichem Abstand entstandener Kompositionen eine interessante Momentaufnahme der zentraleuropäischen Romantik versprach: Mahlers 1888 entstandener sinfonischer Satz "Totenfeier", Dvoráks in New York 1894 komponiertes Cellokonzert und Brahms' 1883 fertiggestellte 3. Sinfonie F-Dur bildeten das Programm im vorletzten hr-Sinfoniekonzert der Saison in der Alten Oper.Natürlich muss man Brahms gegen Mahler in Schutz nehmen. Die dritte Sinfonie, wie Paavo Järvi sie mit dem hr-Sinfonieorchester interpretiert, ist ein dramatisch perfekt gebautes Werk, das in präzise kalkulierten Bewegungen, mit nie ausufernden, nie sich überspitzenden Steigerungsmomenten, mit zeichnerisch exakten Konturen und klaren Setzungen daher kommt, so dass man die große Ordnung in all der aufwühlenden Durchführungsarbeit bewundern muss. Die Ökonomie der Ideen erscheint in Järvis Sicht als Gleichgewicht aus dramatischem Gehalt und strukturellem Kalkül - eine äußerst widersprüchliche, unruhige, aber formvollendete Angelegenheit also, ohne farbenfrohe Übertünchungen präsentiert.
Viel Freude hatte das Publikum mit Dvoráks effektvoll schwelgerischem Cellokonzert, das von der Neuen Welt erzählt und von dem jungen französischen Cellisten Gautier Capuçon eindrucksvoll vorgetragen wurde. Capuçon hat einen großen, warmen und angespannten Ton und spart nicht mit Pathos und mit Sahne. Aber er greift nur manchmal ein bisschen zu sehr ins Volle, er ist durchaus in der Lage, seinen Überschwang zu dosieren, sich im wohlverstandenen Dienste des Werkes zurückzuhalten, seinem Ton die Vehemenz zu nehmen und sich in den umgebenden Klangkörper hinein zu lehnen. Übrigens hat man als Zuschauer manchmal den Eindruck, dass er gerade das auch genießt: im Kreise eines Orchesters zu sitzen, das mit diesem Qualitätsbewusstsein eine klangliche Umgebung liefert, in der er sich sicher genug fühlt, um übers Ziel hinaus zu schießen, in dem er aber auch verschwinden und dem er mit so viel Gewinn bei der Arbeit zuhören kann. Sehr entspannt und virtuos verspielt klang Capuçons Zugabe, Prokofiews "Marsch der Kindersoldaten".Gustav Mahlers "Totenfeier", deren revidierte Fassung der erste Satz seiner zweiten Sinfonie wurde, ist keine Totenklage, sondern ein Ritual. Ein vielfältiges episches Gewimmel zieht vorüber, die Ordnungsanstrengung und die dramatische Zuspitzungsarbeit fußt auf einem elliptischen Element, nämlich dem Zurückkommen auf eine düstere rhythmische Figur der dunklen Streicher. Wer einen pastosen Hollywood-Mahler bevorzugt, ist bei Paavo Järvi und seinem hr-Orchester nicht ganz an der richtigen Adresse. Wer aber hören will, wie diese Musik funktioniert, den erwartet hier eine schlüssige Arbeit.



hr 2-kultur am 20. Mai, 20.05 Uhr

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