Der Schwan singt in der Röhre
Echo-online
Thomas Wolff
25.06.2012
Rheingau-Musikfestival – Machtvoller Auftakt, schwierige Akustik: die „Carmina Burana“
ELTVILLE.
Wie unter Schmerzen windet sich der Tenor. Auf seinem schmalen Platz neben dem Dirigenten wackelt er unstet herum, verzieht das Gesicht – klar, schließlich singt er das Lied vom schönen Schwan, der gerade gegrillt wird. „Es dreht und wendet mich der Koch“, barmt er mit komischer Kopfstimme, „nun so schwarz und so verbrannt“. Der Chor spendet höhnisch Trost: „Miser, miser“, tönt es von hinten, „Armer, Armer.“
So spaßig die Nummer mit dem schwarzen Schwan in der Schänken-Szene von Carl Orffs Carmina Burana auch ist: Es bleibt ein Kunststück, sie gut zu singen. Hans-Werner Bunz ist dafür genau der Richtige. Das Klagen, Jammern und Sehnen des Gepeinigten bringt er in all seinen Facetten ebenso pointiert wie ironiesatt herüber. Und die deftige Komik tut gut. Orffs Elementarwerk strotzt ja ansonsten vor großen Gesten und kraftmeierndem Pathos. Ein Paukenschlag mit ironischen Untertönen also zum Auftakt des Jubiläumsfestivals im Rheingau.
Mit Kloster Eberbach hatten Festivalchef Michael Herrmann und sein Team einen in vielerlei Hinsicht passenden Ort für die Carmina Burana gewählt. Die schöne Schlichtheit der romanischen Architektur bietet einen sinnfälligen Rahmen für Orffs auf kunstvolle Einfachheit gebautes Großwerk. Ringsum die üppig grünen Weinberge: Das Lob der guten Lebens klingt hier so noch mal so anregend.
Zudem dienten die gottverlassenen, längst säkularisierten Zisterzienserbauten ja als Filmkulisse für „Der Name der Rose“, und was der Autor Umberto Eco in neuerer Zeit für die Popularisierung mittelalterlicher (Klischee-)Vorstellungen geleistet hat, das hat der Komponist Carl Orff mit seinen vertonten Lateinversen in den späten Dreißigern nicht minder getan. Sein Mix aus antiker, heute exotisch anmutender Sprache und urgründigen Rhythmen wirkt noch immer.
Dazu tragen an diesem Abend wesentlich die Sänger bei, allen voran die des Philharmonischen Chores Brno. Die sinnliche Kraft des Werks bringen Frauen- wie Männerstimmen in dynamisch fein abgestuften Ansätzen zum Klingen. Urwüchsig schön die Lobgesänge auf die Freuden des Frühlings, wuchtig das Donnern des Schicksalsrades, das Fortuna dreht und dreht. Rhythmisch präzise und harmonisch geschlossen auch die Beiträge der Limburger Domsingknaben.
Ein Händchen hatten die Macher auch bei der Wahl der Solisten – und reichlich Glück. Kurzfristig war der Bariton erkrankt, mithin die Hauptpartie des Werks. Der Nürnberger Jochen Kupfer ist nun alles andere als ein Ersatzmann. Mit runder, weicher, zugleich voller Stimme gab er den fröhlichen Zecher wie den vor Liebe Entflammten, blieb sicher in allen Lagen – und die sind hier extrem: Aus hoher Kopfstimme muss der Bariton ansatzlos in den Keller wechseln, was Kupfer exzellent meisterte. Die russische Sopranistin Olga Peretyatko lieh der schmachtenden Maid einen anmutigen, geschmeidigen Ton. Und der Schwan von Tenor Bunz: zum Sterben schön. Doch wie großartig all das wirklich klang, hörte wahrscheinlich nur Dirigent Paavo Järvi wirklich.
An seinem Premiumplatz in der Mitte der Vierung der Basilika war Järvi von seinen HR-Sinfonikern allseits umgeben, hatte die Solisten im Rücken, die Chöre vor Augen. Die Situation für das Publikum im lang gestreckten Kirchenschiff war natürlich eine andere. Die weit entfernten Chorsänger, die sich im Ostchor der Basilika stapelten; davor die Perkussionisten mit ihren Kastagnetten, Gongs und Triangeln; dazwischen die scharf klingenden Blechbläser, und in der Vierung die wie in Watte gepackten Streicher: All das fügte sich rhythmisch oft nicht zusammen. Zu tief gestaffelt standen die knapp 200 Akteure – notgedrungen – in diesem steinernen Schlauch. Zudem bewirken die nackten Kirchenwände einen unkontrollierbar langen Nachhall.
Wie schon das erste Stück des Abends, Debussys impressionistische Skizze „La mer“, an den Rändern zum Aquarell zerfloss, so verschwammen auch bei Orff die Konturen in den rhythmischen Passagen, besonders bei den Orchestertutti. Da mochte Järvi noch so engagiert mit den Armen rudern: Es lief einiges auseinander, was der dramatischen Wucht des Ganzen doch abträglich war.
Wenn das Konzert am Ende freundlichen Beifall bekam, dann lag das sicher eher am Charme der lyrischen, verhalten orchestrierten Lieder. Von denen hat es ja auch nicht wenige in der Carmina Burana. Und dann gab es ja noch lecker Schwan in der Pfanne. Was will der Hedonist mehr.
http://www.echo-online.de/freizeit/kunstkultur/musik/Der-Schwan-singt-in-der-Roehre;art641,3000618
Thomas Wolff
25.06.2012
Rheingau-Musikfestival – Machtvoller Auftakt, schwierige Akustik: die „Carmina Burana“
ELTVILLE.
Wie unter Schmerzen windet sich der Tenor. Auf seinem schmalen Platz neben dem Dirigenten wackelt er unstet herum, verzieht das Gesicht – klar, schließlich singt er das Lied vom schönen Schwan, der gerade gegrillt wird. „Es dreht und wendet mich der Koch“, barmt er mit komischer Kopfstimme, „nun so schwarz und so verbrannt“. Der Chor spendet höhnisch Trost: „Miser, miser“, tönt es von hinten, „Armer, Armer.“
So spaßig die Nummer mit dem schwarzen Schwan in der Schänken-Szene von Carl Orffs Carmina Burana auch ist: Es bleibt ein Kunststück, sie gut zu singen. Hans-Werner Bunz ist dafür genau der Richtige. Das Klagen, Jammern und Sehnen des Gepeinigten bringt er in all seinen Facetten ebenso pointiert wie ironiesatt herüber. Und die deftige Komik tut gut. Orffs Elementarwerk strotzt ja ansonsten vor großen Gesten und kraftmeierndem Pathos. Ein Paukenschlag mit ironischen Untertönen also zum Auftakt des Jubiläumsfestivals im Rheingau.
Mit Kloster Eberbach hatten Festivalchef Michael Herrmann und sein Team einen in vielerlei Hinsicht passenden Ort für die Carmina Burana gewählt. Die schöne Schlichtheit der romanischen Architektur bietet einen sinnfälligen Rahmen für Orffs auf kunstvolle Einfachheit gebautes Großwerk. Ringsum die üppig grünen Weinberge: Das Lob der guten Lebens klingt hier so noch mal so anregend.
Zudem dienten die gottverlassenen, längst säkularisierten Zisterzienserbauten ja als Filmkulisse für „Der Name der Rose“, und was der Autor Umberto Eco in neuerer Zeit für die Popularisierung mittelalterlicher (Klischee-)Vorstellungen geleistet hat, das hat der Komponist Carl Orff mit seinen vertonten Lateinversen in den späten Dreißigern nicht minder getan. Sein Mix aus antiker, heute exotisch anmutender Sprache und urgründigen Rhythmen wirkt noch immer.
Dazu tragen an diesem Abend wesentlich die Sänger bei, allen voran die des Philharmonischen Chores Brno. Die sinnliche Kraft des Werks bringen Frauen- wie Männerstimmen in dynamisch fein abgestuften Ansätzen zum Klingen. Urwüchsig schön die Lobgesänge auf die Freuden des Frühlings, wuchtig das Donnern des Schicksalsrades, das Fortuna dreht und dreht. Rhythmisch präzise und harmonisch geschlossen auch die Beiträge der Limburger Domsingknaben.
Ein Händchen hatten die Macher auch bei der Wahl der Solisten – und reichlich Glück. Kurzfristig war der Bariton erkrankt, mithin die Hauptpartie des Werks. Der Nürnberger Jochen Kupfer ist nun alles andere als ein Ersatzmann. Mit runder, weicher, zugleich voller Stimme gab er den fröhlichen Zecher wie den vor Liebe Entflammten, blieb sicher in allen Lagen – und die sind hier extrem: Aus hoher Kopfstimme muss der Bariton ansatzlos in den Keller wechseln, was Kupfer exzellent meisterte. Die russische Sopranistin Olga Peretyatko lieh der schmachtenden Maid einen anmutigen, geschmeidigen Ton. Und der Schwan von Tenor Bunz: zum Sterben schön. Doch wie großartig all das wirklich klang, hörte wahrscheinlich nur Dirigent Paavo Järvi wirklich.
An seinem Premiumplatz in der Mitte der Vierung der Basilika war Järvi von seinen HR-Sinfonikern allseits umgeben, hatte die Solisten im Rücken, die Chöre vor Augen. Die Situation für das Publikum im lang gestreckten Kirchenschiff war natürlich eine andere. Die weit entfernten Chorsänger, die sich im Ostchor der Basilika stapelten; davor die Perkussionisten mit ihren Kastagnetten, Gongs und Triangeln; dazwischen die scharf klingenden Blechbläser, und in der Vierung die wie in Watte gepackten Streicher: All das fügte sich rhythmisch oft nicht zusammen. Zu tief gestaffelt standen die knapp 200 Akteure – notgedrungen – in diesem steinernen Schlauch. Zudem bewirken die nackten Kirchenwände einen unkontrollierbar langen Nachhall.
Wie schon das erste Stück des Abends, Debussys impressionistische Skizze „La mer“, an den Rändern zum Aquarell zerfloss, so verschwammen auch bei Orff die Konturen in den rhythmischen Passagen, besonders bei den Orchestertutti. Da mochte Järvi noch so engagiert mit den Armen rudern: Es lief einiges auseinander, was der dramatischen Wucht des Ganzen doch abträglich war.
Wenn das Konzert am Ende freundlichen Beifall bekam, dann lag das sicher eher am Charme der lyrischen, verhalten orchestrierten Lieder. Von denen hat es ja auch nicht wenige in der Carmina Burana. Und dann gab es ja noch lecker Schwan in der Pfanne. Was will der Hedonist mehr.
http://www.echo-online.de/freizeit/kunstkultur/musik/Der-Schwan-singt-in-der-Roehre;art641,3000618
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