Betrunkener Abt prahlt in Kloster Eberbach

Frankfurter
25 juin 2012
Michael Dellith

Das HR-Sinfonieorchester eröffnete das 25. Rheingau-Musik-Festival klangwuchtig mit Orffs "Carmina Burana" und Debussys "La Mer".

Olga Peretyako (Soprano) und Dirigent Paavo Järvi. Foto: Klostermann

Auf den ersten Blick wollten diese beiden Werke so gar nicht zueinander passen: Orffs rhythmisch prägnante, von motorischer Suggestionskraft getriebenen "Carmina" und die hypersensible Klangempfindung von Debussys sinfonischen Skizzen "La Mer", Inbegriff des musikalischen Impressionismus. Doch der Abend belehrte eines Besseren. Denn in beiden Werken geht es um elementare Welten, um elementares Empfinden. Debussys Komposition "La Mer" beschreibt nicht nur einfach mit musikalischen Mitteln die Wellenbewegung des Wassers. So wie die impressionistische Malerei nicht die Natur realistisch abbildet, sondern Stimmung und Atmosphäre einzufangen sucht, so taucht auch Debussys Musik ein in eine Welt des Unberechenbaren, Vagen und Flüchtigen und erfasst so die elementare Kraft des Meeres.

Chefdirigent Paavo Järvi und sein HR-Sinfonieorchester entwickelten einen ausgesuchten Klangsinn für diese Musik, schufen in größtmöglicher Flexibilität ein Kaleidoskop an Farben und Stimmungen. Keine Frage, das HR-Orchester, gerade von seiner Japan- und Südkorea-Tournee zurückgekehrt, befindet sich derzeit in Bestform.

Hellwaches Reagieren, vor allem in rhythmischer Hinsicht, war auch beim Hauptwerk des Abends, den "Carmina Burana", gefragt, die vor 75 Jahren in der Frankfurter Oper vom Cäcilienverein uraufgeführt wurden. Doch nicht die Frankfurter Sänger traten zum Jubiläum in Kloster Eberbach an, sondern der Philharmonische Chor aus dem tschechischen Brünn, der beim Rheingau-Festival schon so manche "Chorschlacht" geschlagen hat. Auch diesmal bewährten sich die Profimusiker mit beeindruckendem Klangvolumen. Was die Deklamation anbetrifft, gerieten die profunden Männerstimmen im rasanten Sauflied "In Taberna" allerdings an ihre Grenzen. Tadellos und klanglich profiliert bewältigten die Limburger Domsingknaben ihren Part als singende Amoretten.

Große Anerkennung verdient der kurzfristig für Johannes Martin Kränzle eingesprungene Bariton Jochen Kupfer. Er gab – stets kultiviert – den betrunkenen Abt ebenso überzeugend wie den liebestollen Minnesänger. Und auch der Tenor Hans-Werner Bunz machte aus seinem Auftritt als gebratener Schwan eine Glanznummer, ohne ins Klamaukhafte abzugleiten. Trotz ihrer großen opernhaften Stimme wusste Olga Peretyatko ihren Sopran zu fokussieren und mit Liebreiz auszustatten.

Dass sich Orffs mittelalterliche Trink- und Liebesgesänge in den Mauern von Kloster Eberbach vortrefflich machen würden, das war von vornherein klar. Aber dass sie derart überwältigen würden, war schon eine Überraschung.


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