Energetisch und ungezogen wie eine Sturmflut
berliner-zeitung
Clemens Haustein
11.12.2013
Die Deutschen Philharmoniker aus Bremen und ihr Dirigent Paavo Järvi erwiesen sich beim Gastspiel im Konzerthaus Berlin als frohgemute Energiebündel, die attaca attaca durch Beethovens „Eroica“ brausten. Das ging zwar auf Kosten der sinfonischen Dramaturgie, brachte aber das Publikum zum Rasen.
Clemens Haustein
11.12.2013
Die Deutschen Philharmoniker aus Bremen und ihr Dirigent Paavo Järvi erwiesen sich beim Gastspiel im Konzerthaus Berlin als frohgemute Energiebündel, die attaca attaca durch Beethovens „Eroica“ brausten. Das ging zwar auf Kosten der sinfonischen Dramaturgie, brachte aber das Publikum zum Rasen.
Der Dirigent Paavo Järvi
Foto: Ventre Fotos
Foto: Ventre Fotos
Deutsche Kammerphilharmonie, Paavo Järvi und
Beethoven: das ist mittlerweile zu einer eigenen Qualitätsmarke
geworden. Die Gesamtaufnahme der Sinfonien wurde hymnisch gefeiert, mit
zyklischen Aufführungen aller neun Werke innerhalb weniger Tage lieferte
man das zugehörige Event. Seit der ersten Beethoven-CD sind
mittlerweile sieben Jahre vergangen. Ob sich in dieser Zeit nicht
vielleicht doch schon etwas abgeschliffen hat?
Am
Montagabend war die Kammerphilharmonie mit Paavo Järvi zu Gast im
Konzerthaus, als Hauptwerk stand Beethovens 3. Sinfonie „Eroica“ auf dem
Programm. Der Saal war ausverkauft, das Publikum am Ende kaum
hinauszubewegen. Drei Zugaben musste das Ensemble aus Bremen spielen;
Stücke, bei denen man ernsthaft befürchten musste, dass der Saal in
kollektive Raserei verfallen würde. Die „Ungarischen Tänze“ Nr.1 und
Nr.6 von Brahms wurden gespielt, ein wenig altbacken diese Wahl, hätte
man denken können. Doch unter Järvi hört man hier nicht einfach dick
aufgetragene Streicherbutter, sondern erregtes Beben und gewitzt
dargebotene Galanterien. Wie mit dem Tempo gespielt wird, hier
verzögert, dort vorausgestürzt wird: das ist eine unerhörte
Demonstration orchestraler Flexibiltät. Zumal nie die Gefahr besteht,
dass bei all diesem Hin und Her der ganze Laden auseinanderfliegen
könnte.
Ein elementares Erlebnis
In
solchen Momenten zerfließen sämtliche Grenzen: Ist das nun Kammermusik?
Aber was macht dann der Dirigent da vorne? Dann doch ein Orchester?
Aber um die Konventionen der „Kulturorchester“, die da heißen: möglichst
Schönklang, sich immer brav in den Gruppe einfügen, kümmert man sich
erfrischend wenig. Und weil sich die Bremer die Freiheit nehmen, so
herrlich ungezogen zu sein, kann ein elementares Erlebnis wie diese
„Eroica“ entstehen.
Die Sinfonie rollt über den
Hörer hinweg: Der erste Satz braust voran wie ein Frühlingssturm, der
Trauermarsch klingt, als wolle man das Begräbnis möglichst schnell
hinter sich bringen, attaca schließt das Scherzo an, attaca folgt der
Variationssatz. Kaum ein Streicher-Einsatz, bei dem nicht herzhaft die
Saiten klirren, selten hört man in einer Sinfonie so viel Fagott, im
Schlusssatz reißen die Klarinetten den Schalltrichter in die Höhe als
sei es eine Mahler-Sinfonie. Eine Dreiviertelstunde Action, bei der man
sich am Stuhl festhalten muss, um nicht fortgespült zu werden. Je länger
das dauert, desto mehr drängt sich jedoch die Frage auf, ob nicht auch
Beethovens Sinfonie weggespült wird. Der erste Satz stürmt bei Järvi so
entschlossen voran, als seien alle Fragen geklärt. Dadurch klingt er wie
ein Schlusssatz – was soll also noch folgen? Der Trauermarsch verliert
seine Bedeutung als emotionaler Tiefpunkt, erinnert eher an eine
rastlose Flucht vor der Trauer. Wenn mit dem Scherzo die Zielgerade
erreicht ist, stellt sich also keine Erleichterung ein. Järvi versteht
diese Sinfonie nicht als Ideengebäude, sondern als Abfolge energetischer
Zustände. Vielleicht ist das so modern, dass man sich erst noch dran
gewöhnen muss.
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/deutsche-philharmoniker-im-konzerthaus-energetisch-und-ungezogen-wie-eine-sturmflut,10809150,25594736.html
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