Klangwunder und Wunderklänge
derbund.ch
Peter König
01/06/2016
Khatia Buniatishvili lässt Schumann leuchten, und Paavo Järvi galoppiert durch Schostakowitsch.
Würde der grosse Steinway-Konzertflügel im Casino Autogramme sammeln, hätte er regen Zuspruch; Benjamin Grosvenor, Lars Vogt und Kit Armstrong hätten kürzlich signiert. Und führte er ein Tagebuch über die grossen Pianostars, wäre der Eintrag über die Georgierin Khatia Buniatishvili (*1987) interessant zu lesen. Sie war zu Gast mit den Migros-Kulturprozent-Classics und mit Robert Schumanns Klavierkonzert in a-Moll. Der Flügel würde kaum notieren, dass sie «eigenwillig» gespielt habe – das kann man überall lesen. Und auch ihr Outfit – anderswo ebenso einlässlich erörtert wie ihre Interpretation – wäre ihm egal. Er würde sich eher erinnern an markante, ja fast gewalttätige Anschläge zu Beginn des Konzerts und im Finalsatz. Und sich fragen, wie ein und dieselben Hände seine Tasten dann wieder so zärtlich streicheln, ihnen solche Wunderklänge entlocken können. Man merkt schnell, dass es nicht das erste Konzert dieser Tournee ist: Perfekt eingespielt sind Solistin, Dirigent Paavo Järvi und Orchestre de Paris. So gut, dass auch abruptes Einhalten und Loslegen in den Solokadenzen den Klangkörper nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Natürlich huldigt der volle Saal der jungen Pianistin, und diese bedankt sich artig mit einem Händel-Menuett.
Unkapriziöse Caprice
Den Namen Richard Dubugnon müsste man sich merken – wenn man es nicht längst getan hätte. Der Westschweizer Komponist ist bekannt und sein Umgang auch mit grossen Orchestern gekonnt. Entsprechend vielseitig, wenn auch letztlich ein wenig beliebig, erklingt zu Beginn seine Caprice Nr. 2, Teil eines grösseren Ganzen (im Mai 2017 ist Nr. 3 geplant). Das 13-minütige Stück enthält wahre Klangwunder. Mit Schostakowitsch hat es vor allem den rastlosen Duktus gemein. Dank vieler fliegender Themenwechsel passt das Werk fast überall hin, konzertdramaturgisch hätte man es sich auch direkt vor der abschliessenden 6. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch vorstellen können. Doch das hätte überlagert, dass das scheinbare Nichtzusammenpassen der drei (!) Sätze dieser 6. Sinfonie Programm ist. Mit der Auslassung eines Kopfsatzes und dem Einstieg mit dem bedrückten Largo unterstreicht der Komponist den Kontrast zum überdrehten Allegro und zum grellen Presto. Järvi, der über einen technisch in allen Registern glänzend besetzten Apparat gebietet, übersteigert diesen Kontrast noch: Schon der kurze Mittelsatz gerät atemberaubend schnell, und durch das Finale peitscht er das Orchestre de Paris, als gälte es noch einen TGV zu erwischen. So werden die beiden schnellen Sätze zu wahren Zirkusnummern, mit dem Dirigenten als Dompteur, der seine Pferde immer schneller durch die Manege treibt. Sehr effektvoll in der Tat und von der Präzision her alleweil staunenswert. Und doch stellt man sich ein wenig die Frage, ob sich der Komponist das wirklich genauso plakativ vorgestellt hatte. (Der Bund)
http://www.derbund.ch/kultur/klassik/klangwunder-und-wunderklaenge/story/20441812
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