Tigerin und Träumerin
nzz.ch
Thomas Schacher
29/05/2016
Das Orchestre de Paris und die Pianistin Khatia Buniatishvili sorgen in der Zürcher Tonhalle für einen musikalischen Höhepunkt: So leidenschaftlich und träumerisch kann Schumanns Klavierkonzert klingen.
Die Pianistin Khatia Buniatishvili (Bild: Esther Haase / Sony Classical)
Die letzte Orchestertournee der Migros-Kulturprozent-Classics in dieser Saison ermöglicht eine Begegnung der besonderen Art. In vier Schweizer Städten ist das renommierte Orchestre de Paris mit seinem Chefdirigenten Paavo Järvi und der Pianistin Khatia Buniatishvili zu Gast. Der schweizerische Aspekt der Tournee wird betont, indem das Orchester überdies eine Komposition des Waadtländers Richard Dubugnon im Gepäck führt. Das Konzert im ausverkauften Grossen Saal der Tonhalle Zürich beginnt denn auch mit Dubugnons Caprice für Orchester Nr. 2 aus dessen Opus 72, einem Work in Progress.
Das kurze Stück zeugt von einem Komponisten, der virtuos mit den Möglichkeiten eines gross besetzten Orchesters umgehen kann und nicht mit Effekten spart. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass das Werk in der Heterogenität seiner Teile formal ziemlich beliebig wirkt. Eine stringentere Komposition steht dann mit der 1939 entstandenen sechsten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch zur Debatte. Das dreisätzige Werk ist wie eine klassische Sinfonie gebaut, der jedoch der konfliktgeladene Kopfsatz abhanden gekommen ist. Die Sinfonie beginnt mit einem Largo, das sich zuerst leidenschaftlich entfaltet und zu drei Kulminationspunkten führt, dann aber ins Bodenlose zusammenfällt und als angedeuteter Trauermarsch endet. Auch Paavo Järvi scheint darin die Widerspiegelung von Schostakowitschs persönlicher Situation während der Stalin-Diktatur zu sehen. Das nachfolgende Scherzo dirigiert er äussert fratzenhaft, und den an den Schluss von Rossinis Wilhelm-Tell-Ouvertüre gemahnenden Ritt des Finales übersteuert er dermassen, dass das Siegesgedröhne in seine Negation umschlägt.
Die demnächst 29 Jahre alte georgische Pianistin Khatia Buniatishvili braucht man inzwischen nicht mehr vorzustellen. Über ihren Charakter als Interpretin gibt die Wiedergabe des beliebten a-Moll-Konzerts von Robert Schumann beredten Ausdruck. Die einleitenden Akkorde des ersten Satzes packt sie wie eine Wildkatze an – für das anschliessende Hauptthema lässt sie sich dann jedoch alle Zeit der Welt. So bewegt sich Buniatishvilis Interpretation stets zwischen den Extremen des leidenschaftlichen Dreinfahrens und des verträumten Innehaltens. Dazu gesellt sich ein sehr freier Umgang mit den rhythmischen Strukturen, was dem Dirigenten und dem Orchester viel Einfühlungsvermögen abverlangt. Bei der insgesamt sehr eigenwilligen Deutung der Pianistin droht die Einheit der Sätze bisweilen auseinanderzubrechen. Aber Authentizität, Ausstrahlung und Überzeugungskraft der Künstlerin lassen solche Bedenken schnell vergessen.
http://www.nzz.ch/feuilleton/das-orchestre-de-paris-gastiert-in-zuerich-tigerin-und-traeumerin-ld.85435
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