Järvi und Grimaud beeindrucken beim Klavierfestival Ruhr
derwesten.de
Martin Schrahn
29.O6.2016
Pianistin Hélène Grimaud.
Essen. Starker Auftritt von Dirigent Järvi und Solistin Grimaud: Bei Brahms in der Philharmonie Essen regierte der Mut zu Schärfe und Schroffheit.
Er war ein Grübler und Zweifler, sich selbst der unerbittlichste Kritiker. Johannes Brahms komponierte sein sinfonisches Werk, die Klavierkonzerte eingerechnet, im Lichte allergrößter Unbehaglichkeit. Weil über ihm der tiefe Schatten Beethovens lag. Brahms’ Ringen mit der Materie spiegelt sich ebenso in der Musik wie sein intensives, oft aufgewühltes Gefühlsleben.
Dies alles hörbar zu machen, die Musik unter Strom zu setzen und uns auf die Stuhlkante zu treiben, ist nun der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung von Paavo Järvi als Gäste des Klavierfestivals Ruhr in Essens Philharmonie aufs Beste gelungen. Mitreißend die Deutung der 4. Sinfonie, beeindruckend die Interpretation des 1. Klavierkonzerts, mit der Solistin Hélène Grimaud.
Järvi und sein Orchester zelebrieren große Dramen
Alles klingt rau und ungeschliffen, erfrischend unverbraucht. Järvi und sein Orchester zelebrieren große Dramen, die Musik bahnt sich fiebrig ihren Weg, nur bisweilen gibt es Inseln ernster Melancholie, als trügerische Ruhe vor dem nächsten Sturm.
So schroff, derart scharf gezeichnet sind Brahms’ Klänge selten zu hören, und im Klavierkonzert führt das teils zur dynamischen Unwucht. Dann muss Grimaud die Muskeln spielen lassen, doch eigentlich ist ihre Welt die Sensibilität. Sie formt und brilliert, markiert die Rhythmen klar, meidet indes jede Überzeichnung. Ihre Leidenschaft ist kontrolliert, im Toben der Elemente plädiert sie virtuos für ein wenig Mäßigung.
Starker emotionaler Zugriff
Gleichwohl ist dies kein Kräftemessen zwischen Solistin und Dirigent. Beide stehen für einen starken emotionalen Zugriff. Doch Järvi will die Grenzen ausloten, wie in Brahms’ 4. Die Musik ist wuchtig, manchmal nahezu aufgekratzt, ekstatisch. Und fast atemlos ziehen die Variationen der finalen Passacaglia an uns vorbei – wie eine Vorausahnung des nervösen Zeitalters, der Wende zum 20. Jahrhundert.
Das Klavierfestival geht weiter, u.a. mit Jan Lisiecki, 4. Juli, Stadthalle Mülheim.
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