„Musik, wie ich sie gerne höre“

deutschlandfunkkultur.de
Ulrike Timm
24.02.2019


Auch er hört Lutosławskis Musik gerne: Der estnische Dirigent Paavo Järvi, Jahrgang 1962 (picture-alliance / dpa / Ingo Wagner)

Das Orchester als Lieblingsinstrument des Komponisten. Kein Wunder, dass das populärste Stück des polnischen Komponisten Witold Lutosławski ein Virtuosenwerk für eben dieses „Instrument“ ist: das Konzert für Orchester.

„Mein Lieblingsinstrument ist das Orchester selbst. Seit meiner Kindheit war ich vom Orchesterklang fasziniert, die im Orchester schlummernden Möglichkeiten haben meine Fantasie schon immer beflügelt“, bekannte der polnische Komponist Witold Lutosławski einmal.

Die Komposition seines Konzertes für Orchester war dennoch eine schwere Geburt, sie zog sich von 1950 bis 1954 hin. Der Komponist steckte in einer Lebenskrise. In Polen herrschte wie in der Sowjetunion die Kunstdoktrin des sozialistischen Realismus, leicht Fassliches, Volkstümliches war gefragt. Für eine Sammlung von Kinderliedern wurde Lutosławski ausgezeichnet, seine Erste Sinfonie dagegen zermalmte ein Funktionär mit den Worten, für solche Töne solle der Komponist doch bitte unter eine Straßenbahn geraten. Witold Lutosławski hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten und als Kaffeehauspianist über Wasser.

Musik als Heilmittel

Die Anregung des Dirigenten Witold Rowicki, für das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auferstandene Philharmonische Orchester Warschau ein Werk zu schreiben, das ausdrücklich eine Herausforderung fürs gesamte Orchester sein sollte, bedeutete für Lutosławski einen Ausweg, „er half mir, meine psychische Krise zu überwinden“. Lutosławski gelang ein Kunststück: Er bediente die staatliche Forderung nach Volkstümlichkeit, indem er sie zugleich raffiniert unterlief. Der Komponist verwendet in seinem Konzert für Orchester ein altes polnisches Liederbuch, aber er nutzt es als musikalischen Steinbruch, löst heraus, fragmentiert, verändert das folkloristische Material bis zur Unkenntlichkeit und findet so zur eigenen Handschrift – es entsteht hochvirtuose, energetische und sich unmittelbar mitteilende Musik. Die Uraufführung wird ein großer Erfolg, das Konzert für Orchester ist das einzige Werk aus dieser Lebensphase, das Lutosławski selbst als gültig und wertvoll erachtete. Es ist bis heute seine meistgespielte Komposition.

Der Solist ist das Kollektiv

Während sonst in einem Konzert ein Soloinstrument vom Orchester begleitet wird, macht Lutosławski das Kollektiv selbst zum Solisten, alle Orchestergruppen werden virtuos präsentiert und herausgefordert, sie wetteifern auch miteinander im Sinne der barocken Bedeutung des Wortes „concertare“. Dabei hat Lutosławski ein Vorbild: Zehn Jahre zuvor schuf Béla Bartók ebenfalls ein Konzert für Orchester, in manchem verwandt und doch vollkommen anders.

Dass eine Sequenz aus seinem Werk im „ZDF-Magazin“ von 1969-1987 zum Vorspann einer Politsendung verwurstet wurde – die zudem eine Annäherung der Bundesrepublik Deutschland an die Volksrepublik Polen ablehnte – wusste Witold Lutosławski nicht. Er soll sehr erstaunt und erschrocken gewesen sein, als er das Konzert für Orchester in Deutschland dirigierte und bei der entsprechenden Passage im Saal Unruhe aufkam…

Ein Komponist und seine Interpreten

Zu hören ist Lutosławski Konzert für Orchester in Aufnahmen mit dem Komponisten selbst am Pult, in der Lesart des Dirigenten Witold Rowicki, der seine Entstehung anregte, sowie in Aufnahmen von Daniel Barenboim, Mariss Jansons, Paavo Järvi und Edward Gardner. Und in einigen historischen Originaltönen kommt der 1994 verstorbene Witold Lutosławski auch selbst zu Wort.

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