Die Einsamkeit des Komponisten

Neue Zürcher Zeitung


CHRISTIAN WILDHAGEN


19.06.23



Die Tonhalle zeigt in «Fidelio»

Parallelen zu Beethovens Leben

Beethoven war ein Gefangener. Eingesperrt in das Gefängnis der Taub-heit, ausgeschlossen von fast aller gesellschaftlichen Teilhabe, musste er die Schönheiten des Lebens vornehmlich in seinem Inneren finden: in seinen unerschöpflichen Notenwelten. Und wurde darüber zu einem der grössten Komponisten der Musikgeschichte. Dennoch hegte der Mensch Beethoven sein Leben lang einen Traum: den von der Liebe zu einer Frau, die ihn, den Sonderling wider Willen, ganz im Sinne der damals jungen Romantik aus dem Gefängnis seiner Isolation erlösen sollte.

In der Realität blieb ihm dieses Happy End versagt, auch wenn man heute von etlichen Affären mit adligen Frauen weiss, unter ihnen die berühmte «unsterbliche Geliebte». Doch weil es sich dabei um nicht standesgemässe Beziehungen han-delte, konnte sich Beethovens Ideal der «amour conjugal», der «Gattenliebe», für ihn wieder nur im Werk erfüllen, allen voran im «Fidelio», seiner einzigen Oper, die mit idealistischer Überhöhung von der Befreiung des Gefangenen Flores-tan durch die furchtlose Leonore erzählt.

Dieser Florestan aber - das ist niemand anderes als Beethoven selbst.

Engführung von Leben und Werk So jedenfalls lautet die originelle These der Regisseurin Eva Buchmann, die den «Fidelio» jetzt für eine halbszenische Aufführung in der Tonhalle Zürich arrangiert hat. Das Projekt war ursprünglich als zentraler Beitrag des Tonhalle-Orchesters zum Beethoven-Gedenkjahr 2020 ge-plant, fiel aber, wie so vieles, der Corona-Pandemie zum Opfer. Der Gedenkanlass ist in der starken Fokussierung auf Beethovens Person und Biografie noch spür-bar, doch die Idee einer Engführung von Leben und Werk, wie sie Buchmann hier versucht, bleibt reizvoll. Sie wäre sogar  eine vollgültige Opernproduktion wert.

In der Tonhalle behilft man sich mit einigen wenigen Requisiten, stilisierten Kostümen und einem schlichten, aber wirkungsvollen Beleuchtungskonzept, das symbolisch aus der Nacht des Kerkers ins Licht der Befreiung führt. Der Schauspieler Stefan Kurt, gekleidet wie Beethoven auf dem ikonischen Porträt von Joseph Karl Stieler, liest anstelle der gestrichenen Singspiel-Dialoge aus Briefen und Selbstzeugnissen des Kompo-nisten. Sie kreisen um dessen Freiheits-drang, sein individualistisches Selbstverständnis als Künstler und die Begeisterung für demokratische Ideen, aber ebenso um die Vereinsamung aufgrund des Gehörverlusts - und immer wieder um die ungestillte Sehnsucht nach Liebe.

Der Bezug zur jeweils folgenden musikalischen Nummer bleibt rein assoziativ und verlangt den Hörern einiges an Deutungsarbeit ab. Die Parallelisie-rung von Komponistenbiografie und Opernhandlung bliebe denn auch ein eher intellektuelles Vergnügen, wenn Zürichs Musikdirektor Paavo Järvi nicht auch dem himmelstürmenden Idealismus der Oper mit packender Dynamik zum Recht verhelfen würde.

Die Befreiung des Mannes Die Tempi sind durchweg fliessend, die Akzente scharf und der Tonfall so rau wie in französischen Revolutionsmusi-ken jener Epoche. Das erinnert an Järvis Sinfonienzyklus mit der Deutschen Kam-merphilharmonie, knüpft aber auch an den historisch informierten Beethoven-Stil David Zinmans mit dem Tonhalle-Orchester an. Zum Glück hat Järvi ein bis in die Nebenrollen stimmig besetztes Sän-gerensemble zur Verfügung, das diesem sinfonischen Zugriff Paroli bieten kann.

Hinreissend ist die jugendliche Mar-zelline von Katharina Konradi. Und wenn Jacquelyn Wagner die gefürchtete Leo-noren-Arie so strahlend mühelos in den Ausruf «Mich stärkt die Pflicht der treuen Gattenliebe!» münden lässt, bekommt man eine Ahnung, wie Beethoven sich das wohl vorgestellt hat: die visionäre Befreiung des Mannes durch ein «holdes Weib».

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