Beethovens Neunte: Update für die Ewigkeit

Von Kai Luehrs-Kaiser
4 nov 2009
Spiegel.de


Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi liefert mit Beethovens Neunter eine grandiose Klassiker-Neuauflage: den "Bremer Beethoven" auf Urtext-Basis.

"Die Neunte" - ein Party- und Silvesterkracher? Ja, das Spätwerk Beethovens, seine Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125, ist längst zur Festtagsbeilage und zur Feuerwerksmusik der Deutschen verkommen. Wenige große Dirigenten setzen das Werk regulär aufs Programm. Die abgenudelte Schluss-"Ode an die Freude" hinterlässt selbst zu Schillers 250. Geburtstag meist nur hohles Pathos. Und wenn schon einmal ein Versuch gestartet wird, gibt's im Konzert meist Orffs "Carmina Burana" hinterher oder Höhepunkte aus "Schwanensee", getanzt. Es ist ein Jammer mit Beethovens Neunter.

Dabei ist das Werk, dessen abrupter Schlusschor die Leute einst schockierte und dessen Riesenausmaße eine Art heroischer Monumentalität predigte, selbstverständlich ein Meisterwerk. Das kakophone Chaos zu Beginn, aus dem sich die Melodien wie Würmer ziehen, die Klangfarben-Exzesse des Adagio und der hohe Ton des "Freude, schöner Götterfunken" greifen großartig und vermessen nach den Sternen. Ohne die Neunte sind weder Wagner noch Stockhausen zu denken. Erst die Neueinspielung mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen macht einem den Drive und die revolutionäre Sprengkraft der Neunten aber wieder klar.

Noch immer neue Geheimnisse

Schon lange sorgen die Beethoven-Einspielungen der Kammerphilharmonie aufgrund ihrer prickelnden Klangtransparenz und einem Schwung der Neuheit, den man ansonsten höchstens noch bei Ensembles der Alten Musik antrifft, für Furore. In Aufführungszyklen in Salzburg und beim Bonner Beethovenfest wurden die Bremer dafür bejubelt. Unter dem estnischen Dirigenten Paavo Järvi, 46, hört man Beethoven hier wie unter dem akustischen Brennglas: klar, messerscharf und ohne altbackene Grandezza. Auch die Neunte - stets ein Sonderfall - zeigt die Nervosität der aufkommenden Fabrikmoderne ebenso wie das intellektuelle Feuer des Voltaire-Zeitalters. Elegant raffzähnig auf sein Ziel zuschnellend wie der Hecht im Karpfenteich.

Dabei ist das Solisten-Quartett mit Christiane Oelze, Petra Lang, Klaus Florian Vogt und Matthias Goerne so liedhaft leicht besetzt wie nie. Was der Deutsche Kammerchor an Lippenarbeit spart, macht die Kammerphilharmonie an agilem Charme wieder gut. Auf der Basis der neuen Urtext-Edition (erschienen bei Bärenreiter) ist so eine Neunte entstanden, an der man sich nicht satt hören kann. Sie beweist: Selbst wenn man von Furtwängler bis Harnoncourt oder Giovanni Antonini schon diverse Beethoven-CDs im Regal stehen hat, lüftet die Neunte immer noch neue Geheimnisse. Der "Bremer Beethoven", ein grandioses Update mit Ewigkeitscharme: So zeigt sich erneut, dass wir's mit einem der weltbesten Kammerorchester zu tun haben.

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