Entstaubt: Bremer Kammerphilharmonie und Paavo Järvi mit Beethoven

30.10.2009 Von Wolfgang Hirsch, TLZ.de

Man kann die "Pastorale" musizieren, auch ohne heitere Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande und eine Bächlein-Idylle zu suggerieren. Dann verleihen stimmige Temporelationen - schon dank eines lebendig beschwingten Allegros im Kopfsatz - ihr wieder prägende Konturen, und Ludwig van Beethovens 6. Symphonie F-Dur wird als absolute Musik aus der romantischen Spekulation zurück in die Klassik verortet.

Neu ist diese Sichtweise nicht, aber wie Paavo Järvi, Spross der berühmten estnischen Dirigentendynastie, und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen sie umsetzen: Das gewinnt angesichts der Unzahl sattsam bekannter, teils wohl gar überflüssiger Einspielungen auf dem Markt geradezu spektakulären Charakter. Mit der Sechsten und Zweiten haben Järvi und seine Philharmoniker nun ihren Zyklus der Beethoven-Symphonien abgeschlossen, das Violinkonzert mit Janine Jansen ist dieser Tage erschienen, auf die Klavierkonzerte muss man leider noch warten.

Das Sensationelle ist eigentlich das Einfache. Järvis Orchester spielt in angemessen kleiner Besetzung auf modernen Instrumenten, lässt homogene Gediegenheit der Register und solistische Kompetenz walten - und so entsteht völlig unverkünstelt und schlicht jene berückende Klangtransparenz, welche als unabdingbare Grundlage für eine kluge, analytische Interpretation dienen muss. Jedes Detail, jedes Accelerando oder Ritardando ist präzise durchdacht, damit Themen und Motive mit genuin Beethovenscher Dialektik dynamisch reibungsvoll sich ineinanderflechten. Nicht etwa das Volkstümlich-Melodiöse, sondern das Rhythmisch-Motorische, radikal Kontrastive dominiert nun. Doch von den Traditionalismen der Beethoven-Exegese ist diese Herangehensweise angenehm entstaubt.

Bei aller Eleganz etwa der Holzbläser-Intonation und aller Delikatesse differenziert ausmusizierter Streicherfiguren findet so der Berserkersinn des Komponisten einen natürlichen - und völlig plausiblen - Ausdruck. Mehr noch als in der Sechsten wird dieser Charakterzug in der oft unterschätzten Zweiten bis zur Bizarrie ausgekostet, vor allem in deren furiosem Finale. Die niemals nachlassende Spannkraft des Apparats fesselt den Zuhörer und stürzt ihn mitten hinein in einen Kosmos der starken Gefühle.

Nicht umsonst hat Sony Music diese Aufnahmen in der "Red Seal"-Reihe des Sub-Labels RCA, die sonst nur den großen Klassikern vorbehalten ist, platziert. In der Fachwelt geht die Rede von "der ultimativen" Beethoven-Lesart. Dass die Bremer, die - ungewöhnlich in der Zunft - als Unternehmen organsiert sind, bei den diesjährigen Salzburger Festspielen stupende Erfolge feierten, von Presse und Publikum dort hoch gelobt wurden und nun als Orchestra in Residence zum renommierten Beethovenfest Bonn eingeladen sind, versteht leicht, wer diese Aufnahmen hört.

Dabei greift Paavo Järvi eigentlich bloß auf strikte, alte Kapellmeistertugenden zurück. Alle individualistische Eitelkeit liegt ihm fern. "Es wird keinen Järvi-Sound geben", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". "Der Sound entsteht aus den Partituren."

i Ludwig van Beethoven: Symphonien Nr. 6 F-Dur und 2 D-Dur. Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi. CD, RCA Red Seal, ca. 20 Euro

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