Eine interpretatorische Sensation

Michael Pitz-Grewenig, 29.12.2009
KLASSIK.COM

Beethoven, Ludwig van: Sinfonie Nr. 9 d - Moll op. 125
Label: RCA Red Seal , VÖ: 25.09.2009

Sich an eine Einspielung aller neun Sinfonien von Ludwig van Beethoven heranzuwagen zeugt entweder von Naivität oder einem ausgeprägten Selbstbewusstsein. Dass die Einspielungen der Beethovenschen Sinfonien mit der Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi weltweit solch spektakuläre Reaktionen hervorrufen würde, war nicht vorauszusehen. Aber seit der Einspielung Fünften Sinfonie und spätestens mit der Veröffentlichung der heiklen Sechsten Sinfonie wurde einsichtig, dass der Bremer Kammerphilharmonie eine neue Referenzeinspielung gelungen war. Mit der vorliegenden Neunten Sinfonie wurde dieser Eindruck noch einmal eindrucksvoll bestätigt. Man kann mit Fug und Recht konstatieren, dass Paavo Järvi eine von allem Ballast befreite subtile Interpretation gelungen ist, die ein neues Kapitel in der Geschichte der Interpretationen dieser Sinfonie schreiben dürfte. Järvi geht es primär um die Musik als klangliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Partitur, um ein intelligentes Spiel mit Klängen und Strukturen, ‚Spiel’ hier durchaus im Schillerschen Sinn zu verstehen. Damit widersetzt Järvi sich deutlich allen ideologischen Verabsolutierungen und ist dem Schillerschen Ideal von Freiheit, wie es in der Ode an die Freude formuliert wird, näher als so mancher Interpret der letzten 50 Jahre.

Järvis glasklare Herangehensweise zeigt sich auch darin, dass er stets die scheinbar nebensächlichen Nebenstimmen stets im Blick hat. Das instrumentale Geflecht, gerade auch in den bedeutsamen Mittelstimmen, bleibt bei aller Kraftentfaltung stets hörbar. Das ist nicht nur ein intellektueller Beethoven, sondern auch einer, der mit Freude und Lust zum Erklingen gebracht wird. In den Tempi bleibt Järvi im Mittelfeld, das gesamte Werk dauert bei ihm knapp 64 Minuten. Das ist fast exakt die gleiche Zeit, die sich auch Arturo Toscanini bei seiner Aufnahme aus dem Jahre 1952 mit dem NBC Symphony Orchestra nimmt, nur klingt das straffe Tempo bei Järvi gelassener und nicht so hektisch.

Die formidablen Gesangssolisten dieser Aufnahme, Christiane Oelze (Sopran), Petra Lang (Alt), Klaus Florian Vogt (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton) und der versierte Deutsche Kammerchor runden diese exzellente Aufnahme. Lesenwert auch der fachkundige Aufsatz von Peter Schleuning im Booklet.

Mit der vorliegenden Einspielung der 9. Sinfonie liegt nun die Gesamteinspielung aller Beethoven-Sinfonien durch die Bremer Kammerphilharmonie unter Paavo Järvi vor, durchaus zu verstehen als Entdeckungsreise zu einem unerhörten Beethoven.


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