Paavo Järvis Geniestreich

Stuttgarter Zeitung

15.12.2009

Von Jürgen Hartmann und Hans Jörg Wangner


Welweit haben „die Bremer“ ihren Zyklus mit Ludwig van Beethovens neun Sinfonien gespielt –zuletzt in diesem Sommer mit überwältigendem Erfolg bei den Salzburger Festspielen. Nun ist die Gesamtaufnahme auch auf CD abgeschlossen. Gerade die neunte Sinfonie kann vielleicht nur von einem selbstbestimmten Orchester wie der Deutschen Kammerphilharmonie und einem ebenso erfahrenen wie innovativen Dirigenten wie Paavo Järvi so zum Sprechen gebracht warden, wie es auf dieser atemberaubenden CD dokumentiert ist.


Jenseits der selbstredend vorhandenen instrumentalen Perfektion wird die Partitur als kommunikative Struktur aufbereitet, mit größtmöglicher Klarheit, mal schneidend streng, mal locker-charmant. Beethovens Paradoxien stürmen auf uns ein, ohne dass das Gesamtbild zerfasert. Der Einbruch der menschlichen Stimme in die Sinfonie scheint ganz folgerichtig – man verstand ja schon zuvor jedes „Wort“.


Neben dem Deutschen Kammerchor agieren solistische Spitzenkräfte wie Christiane Oelze mit sternenklar schwebendem Sopran und Matthias Goerne, der sein Freudensolo wie ein verträumtes Lied gestaltet. Klaus Florian Vogt trübt den Gesamteindruck mit pauschalem Tenorgesäusel, aber nu rein kleines bisschen. Ansonsten: ja, genau so muss es sein. Aber: muss es auch sein, dass der Kopfsatz der sechsten Sinfonie im Booklet so sperrig betitelt ist?


„Angenehme, heitere Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen“, statt dem gewohnten „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“? Aber auch hier – Järvi hat die „Pastorale“ samt der Zweiten vor der Neunten veröffentlicht – gilt: ja, so muss es sein. Denn so steht es im Autograf des Komponisten.


Ein Detail, gewiss, aber wieder eins, das zeigt worauf in der Edition Wert gelegt wurde. Und das Gespielte bleibt hinter dem Geschriebenen nich zurück. Die als Andante angelegte „Szene am Bach“ ist nicht bloß ein vor sich hingehendes Stück Musik, sondern („molto mosso“) so bewegt, wie Beethoven es vorgesehen hat. Und im vierten Satz „Donner, Sturm“ (in späteren Partiturausgaben „Gewitter, Sturm“) sitzen die Akzente, stimmen die Klangfarben von aschfahl bis grellbunt. Da lassen es die Bremer, nun ja, so richtigkrachen.


Braucht es noch den Hinweis, dass auch die Zweite exemplarisch geglückt ist? Dass die Bremer un seine Ahnung davon vermitteln, weshalb diese Sinfonie die Zeitgenossen so verstörte? Zwar ist Järvi nicht der Erste, der dieses sperrige Dornröschen aus seinem sanften D-Dur-Schlummer geweckt hat: René Leibowitz etwa hat schon vor Jahrzehnten gegen dieses Bettchen getreten. Abe res kann ja nicht genug Interpreten geben, die uns zeigen, wie es sein muss.

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