Paavo Järvi und Schumann

Kulturradio.de
Peter Uehling
01.02.2013

Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen setzen einen neuen Standard in der Interpretation Schumannscher Orchesterwerke.

Bewertung: großartig
So schwierig es ist, mit Beethovens Sinfonien noch eine Sensation zu machen: Paavo Järvi und der Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist es gelungen. Das Echo auf die erste Folge ihrer projektierten Schumann-Gesamtaufnahme fiel noch nicht in gleicher Weise euphorisch aus. Nach dieser Doppel-CD mit Schumanns Erfolgssinfonien 1 und 3 widmet sich die zweite Folge der schwierigen Zweiten und teils unbekannten Ouvertüren aus der Spätzeit des Komponisten. Hier müssen Järvi und sein Orchester sich nicht nur gegen vorliegende Interpretationen behaupten, sondern auch gegen die Schwierigkeiten der Musik. Die Zweite Sinfonie peilt das große Drama mit übergreifendem Quintsignal der Blechbläser an; dessen Grandiosität wird jedoch ab dem ersten Takt unterminiert von chromatisch schleichenden Streicherstimmen. Im Finale führt Schumann den anfänglichen Schwung ad absurdum, das Stück kommt auf einer Generalpause zum Stillstand und beginnt dann neu: Drastischer kann man Gebrochenheit nicht inszenieren.

Präsizion
Die Kammerphilharmonie Bremen reduziert die Schwierigkeiten nicht, sondern stellt sie klar dar. Die Tugenden des Ensembles liegen auf der Hand: Die Präzision im Zusammenspiel, die blitzsaubere Intonation in den Bläsern oder den ersten Violinen im berüchtigten Scherzo könnte manches hochberühmte Orchester beschämen Mit diesem Klangkörper kann Järvi zudem ungemein originell verfahren, Klang und Phrasierung sind genau gesteuert und setzen vor allem in Details den Stücken nie gehörte Lichter auf.

Sprechend musiziert

Solche Beschreibungen klingen technisch und scheinen dem „poetischen“ Schumann unangemessen. Wer Poesie mit Verschwommenheit gleichsetzt, dem wird diese Aufnahme in der Tat nichts sagen. Järvis Poesie ist exakt: ein Verdämmern im Trio des Scherzos, ein ekstatischer Aufschwung im Adagio. Mag sein, dass unter Järvis frontalem Zugriff die Individualität eines Solobläsers eher eingefaltet bleibt, das Oboensolo zu Beginn des Adagios klingt eher barock als romantisch – aber es berührt dennoch, weil auch im Tutti immer sprechend musiziert wird, als handelte es sich um eine kleine Besetzung.

Mehr als Bonusmaterial
Die hinzugefügten vier Ouvertüren steigern den Repertoirewert der CD: Wo findet man in dieser Qualität schon die Ouvertüren zu „Hermann und Dorothea“ oder zur „Braut von Messina“. Zweifellos sind dies hochmerkwürdige Stücke: „Hermann und Dorothea“ zitiert ausgiebig aus der Marseillaise, das Ineinandergreifen von aufschießenden Figuren und verquälter Harmonik am Beginn der „Braut von Messina“ gehört zu Schumanns sperrigsten Eingebungen. Dass die Interpretationen bei aller Akkuratesse nicht ganz so durchdrungen wirken wie die der Sinfonie oder der bekannten „Manfred“-Ouvertüre, sei nicht verschwiegen. Dennoch setzen Järvi und die Kammerphilharmonie so dezent wie nachdrücklich einen neuen Standard in der Interpretation Schumannscher Orchesterwerke.
http://www.kulturradio.de/rezensionen/cd/2013/paavo_jaervi_und_schumann.html

Comments

Popular Posts