Ein Freibeuter durchpflügt das Streichermeer


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JUDITH VON STERNBURG
15/11/2015


Sol Gabetta und Paavo Järvi in der Alten Oper Frankfurt, beim Gastspiel des Orchestre de Paris. Foto: Tibor-Florestan Pluto / Alte Oper FrankfurtVielgliedriger Organismus: Paavo Järvis Orchestre de Paris und die Cellistin Sol Gabetta spielen Werke von Hector Berlioz und Camille Saint-Saëns in der Alten Oper Frankfurt.

Wenige Stunden vor den Anschlägen, denn so muss aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt die Zeit gerechnet werden, gab das Orchestre de Paris in der Alten Oper Frankfurt ein Konzert, das ausschließlich von der Schönheit, auch der schönen Schroffheit der Musik handelte. Am Pult stand der verbindliche und exakte Paavo Järvi in seiner letzten Saison als Musikdirektor der Pariser. Eine spielfreudige, gutgelaunte Superakkuratheit gab mit ihm die Richtung vor, das Orchester folgte rasant und so elastisch und beweglich, dass man hier einmal nicht an einen perfekt geölten Apparat denken musste, sondern allen Ernstes an einen atmenden vielgliedrigen Organismus (wer sagte neulich, eine Orchesterschließung sei im Grunde genommen Mord?).

Auf dem Programm standen Werke von Berlioz und dazwischen von Saint-Saëns. Hector Berlioz’ „Le Corsaire“, eine Ouvertüre ohne Oper, war ein effektvolles Mittenhinein in ein samtenes, dann aber auch aufgewühltes Streichermeer, das die Musiker zugleich emsig durchpflügten. Dachte Berlioz, wie man liest, bei der Figur des Freibeuters an sich und seine Rolle als Einzelgänger in gefährlichen Gewässern, so drängt sich heute der Eindruck auf, dass es die abgefeimteste, modernste Kinomusik ist, die der Komponist deutlich vor der Erfindung desselben produzierte.

Die Cellistin Sol Gabetta fand sich anschließend im eingespielten Team ein, als könnte es nicht anders sein. Sie machte das Orchester zu ihrem Duett-Partner in Camille Saint-Saëns’ 1. Cellokonzert, und das Orchester ließ sich hellwach darauf ein, nahm Rücksicht, nahm auch Blickkontakt auf. Die Instrumente riefen einander kleine Melodien zu, echoten sie zurück, ein gemeinsames Musizieren, in dem Paavo Järvi die Rolle des diskreten Ordners übernahm. Der Celloton Sol Gabettas setzt Ausdruck vor reine Geschmeidigkeit – von der das Spiel der 34-Jährigen gleichwohl genug zu bieten hat –, ihre Virtuosität will nicht imponieren, sondern überraschen und dem Originellen der Musik nützlich sein. So war es.

Järvis eigenes Vergnügen daran, nichts als selbstverständlich zu nehmen, Routine nicht zuzulassen, brach sich dann in Berlioz’ „Symphonie fantastique“ Bahn. Selbst den ohnehin seltsamen Beginn konnte er noch einmal weiter verfremden, ein irisierendes Herantasten war das, bevor die ersten Hochgeschwindigkeitssequenzen durch den Saal rasten. Der Walzer, erst so hold, dann rasch verweht, die „Landszene“ mit prächtigen Solobläsern innerhalb und außerhalb des Saals, die krassen, bösen hinteren Sätze („Gang zum Richtplatz“ und „Traum eines Hexensabbats“): Nichts davon wurde bloß absolviert, alles wurde entdeckt, probiert, ausgekostet. Ebenso taufrisch wirkte der Rausschmeißer, Berlioz’ Rákóczi-Marsch.

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