Die Präzision des Bösen

wienerzeitung.at
8.03.2017

(irr) So sicher sich die Programmheftschreiber heute sind: Beweisen lässt es sich nicht, dass Dmitri Schostakowitsch in seiner Zehnten Symphonie das eigene Überleben gefeiert hat. Naheliegend ist es aber schon. Das Werk ist knapp nach dem Ableben Stalins entstanden, und der hatte den Tonsetzer öffentlich demütigen lassen - was einer Morddrohung gleichkam. Dann aber der Tod des allmächtigen Tyrannen - und danach eine Symphonie, in der Schostakowitschs Initialen immer wieder musikalisch aufblitzen, erst unauffällig eingewoben, dann offener, zuletzt fast schon triumphal: D-Es-C-H.

Paavo Järvi dirigiert diese Partitur zwischen Mahler und Moderne derzeit auf einer Tournee, und er beweist damit zweierlei. Erstens, dass es sich lohnt, Vorurteile gegenüber Fernost-Ensembles zu überdenken. Das NHK-Sinfonieorchester Tokio, seit 2015 unter der Leitung des Esten, arbeitet mit der Spritzigkeit eines Klasse-Orchesters. Zweitens: Der perkussive Ansatz, mit dem der studierte Schlagwerker Järvi bereits Beethoven neu gesichtet hat, macht sich abermals bezahlt. Die monströsen Märsche der Zehnten wüten hier in einem kristallklaren Klangbild; die brutalen Blechsalven des Scherzos (angeblich ein Stalin-Porträt) treffen mit konzentrierter Schärfe ins Mark. Wobei: Diese Rhythmus-Präzision kann der Musik auch zum Gefängnis werden. Die Jubeltöne des Finales, sie strömen hier nicht frei. Absicht? Ein reines Vergnügen dagegen das Sibelius-Violinkonzert: Janine Jansen versorgt die drei Sätze mit einer Energie und Leuchtkraft, als wäre sie nicht an der Geige, sondern an der Starkstromleitung tätig; das Orchester erklimmt ganze Gebirgsketten an Spannungsgipfel und lässt die Täler dazwischen reizvoll schillern.

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