Russische Kontraste
magazin.klassik.com
Aron Sayed
31.01.2019
Für gewöhnlich orientieren bekannte Orchester sich auf ihren internationalen Tourneen stark am musikhistorischen Kanon, um auf Nummer sicher zu gehen und für volle Häuser zu sorgen. Bisweilen führt das zu recht allgemeinen Programmen. Nicht so an diesem Abend mit dem Philharmonia Orchestra aus London unter Paavo Järvi in der Elbphilharmonie. Hier wurden zwei Werke russischer Provenienz von Beginn des 20. Jahrhunderts kombiniert, die sowohl in Besetzung und Charakter kaum gegensätzlicher sein könnten: Sergej Prokofjews neoklassizistisch kurzes, von ätherischem Humor erfülltes Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur und Sergej Rachmaninows erdenschwere, spätromantische, melodisch wuchernde Sinfonie Nr. 2 in e-Moll. Einzig Beethovens 'Coriolan-Ouvertüre' zu Beginn fiel da ein wenig heraus. Dass Paavo Järvi das Philharmonia Orchestra hier in voller Besetzung antreten ließ und es hochexpressiv zu Werke ging, ließ seine historisch informierten Beethoven-Interpretationen mit der Kammerphilharmonie Bremen sofort vergessen und warf Rachmaninows Schatten voraus, auch wenn die Streicher hier nicht weniger gewandt phrasierten als die Bremer, leichte Tutti-Wackler zu Beginn inklusive.
Kratzbürstig
Hilary Hahns ansonsten brillanter Interpretationsstil ist dafür bekannt, dass rhythmische Konturen bei ihr gelegentlich verschwimmen, was besonders in Prokofjews an rhythmischen Mätzchen reichem D-Dur-Konzert ein Risiko birgt. Nicht so jedoch an diesem Abend, an dem Hahn im Vivacissimo jene kratzbürstige Passage am Steg mit Solo-Tuba-Einschub noch kratzbürstiger spielte als sonst und die Grenze zum Geräusch absichtsvoll überschritt. Auf diese Weise setzte sich ihre intensiv kantable Gestaltung im Andantino umso reizvoller von jenen bissig humorigen Passagen ab. Dies zumal auch die Holzbläser mit der Solovioline plastisch dialogisierten, vom ‚tapsenden‘ Fagott zu Beginn des Moderato bis zur sanguinischen Flöte und der Piccoloflöte in den Rahmensätzen. Mit zarter Gesanglichkeit und leichtem Vibrato gab Hahn anschließend des Andante aus Johann Sebastian Bachs Sonate für Violine solo BWV 1003 und füllte so trotz sanfter Tongebung den Großen Saal der Elbphilharmonie spielend aus. Dies zeigte auch, dass die kürzlich aufgebrandete Diskussion um die Akustik des Saals vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Das Publikum dankte mit donnerndem Applaus und Bravi.
Expressive Verve
Gleiches galt im Anschluss für Rachmaninows großdimensionierte Sinfonie Nr. 2, die unter Järvi mit expressiver Verve dirigiert wurde, was sich in der Interpretation entsprechend niederschlug. Auch wenn es dem massigen Tuttiklang besonders in den lauten Passagen bisweilen an der orchestralen Balance fehlte, navigierte das Philharmonia Orchestra doch mit entschiedener Haltung durch die melodisch ausgedehnten, mäandernden Verläufe. Einen Höhepunkt bildete dabei das wie sollte es auch anders sein – Klarinettensolo zu Beginn des Adagio. Wie dynamisch differenziert und zugleich beseelt das Traditionsorchester aus London klingen kann, zeigte es dann auch in Paavo Järvis Standardzugabe, dem 'Valse Triste' von Sibelius. Beinahe unhörbar flüsternd und dabei doch maximal verständlich agierten hier die Streicher. Besonders die crescendierenden Liegetöne in den Hörnern am Schluss sorgten zusätzlich für Gänsehaut. Der Rest war Jubel.
https://magazin.klassik.com/konzerte/reviews.cfm?task=review&PID=6986
Aron Sayed
31.01.2019
Für gewöhnlich orientieren bekannte Orchester sich auf ihren internationalen Tourneen stark am musikhistorischen Kanon, um auf Nummer sicher zu gehen und für volle Häuser zu sorgen. Bisweilen führt das zu recht allgemeinen Programmen. Nicht so an diesem Abend mit dem Philharmonia Orchestra aus London unter Paavo Järvi in der Elbphilharmonie. Hier wurden zwei Werke russischer Provenienz von Beginn des 20. Jahrhunderts kombiniert, die sowohl in Besetzung und Charakter kaum gegensätzlicher sein könnten: Sergej Prokofjews neoklassizistisch kurzes, von ätherischem Humor erfülltes Violinkonzert Nr. 1 in D-Dur und Sergej Rachmaninows erdenschwere, spätromantische, melodisch wuchernde Sinfonie Nr. 2 in e-Moll. Einzig Beethovens 'Coriolan-Ouvertüre' zu Beginn fiel da ein wenig heraus. Dass Paavo Järvi das Philharmonia Orchestra hier in voller Besetzung antreten ließ und es hochexpressiv zu Werke ging, ließ seine historisch informierten Beethoven-Interpretationen mit der Kammerphilharmonie Bremen sofort vergessen und warf Rachmaninows Schatten voraus, auch wenn die Streicher hier nicht weniger gewandt phrasierten als die Bremer, leichte Tutti-Wackler zu Beginn inklusive.
Kratzbürstig
Hilary Hahns ansonsten brillanter Interpretationsstil ist dafür bekannt, dass rhythmische Konturen bei ihr gelegentlich verschwimmen, was besonders in Prokofjews an rhythmischen Mätzchen reichem D-Dur-Konzert ein Risiko birgt. Nicht so jedoch an diesem Abend, an dem Hahn im Vivacissimo jene kratzbürstige Passage am Steg mit Solo-Tuba-Einschub noch kratzbürstiger spielte als sonst und die Grenze zum Geräusch absichtsvoll überschritt. Auf diese Weise setzte sich ihre intensiv kantable Gestaltung im Andantino umso reizvoller von jenen bissig humorigen Passagen ab. Dies zumal auch die Holzbläser mit der Solovioline plastisch dialogisierten, vom ‚tapsenden‘ Fagott zu Beginn des Moderato bis zur sanguinischen Flöte und der Piccoloflöte in den Rahmensätzen. Mit zarter Gesanglichkeit und leichtem Vibrato gab Hahn anschließend des Andante aus Johann Sebastian Bachs Sonate für Violine solo BWV 1003 und füllte so trotz sanfter Tongebung den Großen Saal der Elbphilharmonie spielend aus. Dies zeigte auch, dass die kürzlich aufgebrandete Diskussion um die Akustik des Saals vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Das Publikum dankte mit donnerndem Applaus und Bravi.
Expressive Verve
Gleiches galt im Anschluss für Rachmaninows großdimensionierte Sinfonie Nr. 2, die unter Järvi mit expressiver Verve dirigiert wurde, was sich in der Interpretation entsprechend niederschlug. Auch wenn es dem massigen Tuttiklang besonders in den lauten Passagen bisweilen an der orchestralen Balance fehlte, navigierte das Philharmonia Orchestra doch mit entschiedener Haltung durch die melodisch ausgedehnten, mäandernden Verläufe. Einen Höhepunkt bildete dabei das wie sollte es auch anders sein – Klarinettensolo zu Beginn des Adagio. Wie dynamisch differenziert und zugleich beseelt das Traditionsorchester aus London klingen kann, zeigte es dann auch in Paavo Järvis Standardzugabe, dem 'Valse Triste' von Sibelius. Beinahe unhörbar flüsternd und dabei doch maximal verständlich agierten hier die Streicher. Besonders die crescendierenden Liegetöne in den Hörnern am Schluss sorgten zusätzlich für Gänsehaut. Der Rest war Jubel.
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