Frisch, luftig, voller Farben

weser-kurier.de
Iris Hetscher
25.03.2019

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen veröffentlicht die 3. und 4. Sinfonie von Brahms auf CD – und präsentiert ein fast magisches Klangerlebnis.


Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie beim Benefizkonzert 2017 in der Glocke. Bei den bevorstehenden Abonnentenkonzerten muss das Orchester ohne seinen Chefdirigenten auskommen, der krankheitsbedingt ausfällt. (JULIA BAIER)

Es ist beinahe ein Jahr her, dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter Leitung ihres Chefdirigenten Paavo Järvi den Zuhörern im Dom mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms einen der Höhepunkte des vergangenen Konzertjahres bescherte. Das Konzert am Tag und Ort seiner Uraufführung (10. April 1868) war nicht nur eine erneute Verneigung vor dem Komponisten, sondern auch ein weiterer logischer Schritt in der gemeinsamen Arbeit von Orchester und Dirigent am Phänomen Brahms. Die ersten beiden Sinfonien, angereichert mit der „Akademischen Festouvertüre“ beziehungsweise den „Variationen über ein Thema von Haydn“ liegen bereits auf CD vor. Viel Lob gab es dafür. Dies sei ein Jungbrunnen und eine Referenzaufnahme, hieß es; die Einspielung der Sinfonie Nr. 1 erhielt im vergangenen Jahr einen „Opus Klassik“.

Jetzt folgt der nächste Streich des „Brahms-Projekts“, wie das Orchester die Auseinandersetzung mit der Musik des Komponisten nennt. Bei Sony Classical erscheint am 29. März das Album mit den Sinfonien Nr. 3 und Nr. 4, die Aufnahme setzt den berückend luziden und daher so zwingenden Ansatz der ersten beiden Aufnahmen fort – anders möchte man Brahms gar nicht mehr hören. Nachdem sich der Komponist vor allem in seiner 1. Sinfonie an dem Titan der Gattung, Ludwig van Beethoven, abgearbeitet und die 2. etwas nachdenklicher und dunkler angelegt hatte, merkt man den beiden folgenden musikalischen Erzählungen seine Lust an, weitere Möglichkeiten auszuloten. Paavo Järvi und das Orchester begeben sich gerne mit ihm in die Tiefe. In die 3. Sinfonie F-Dur ist von Beginn an viel hineingelesen worden, sie berge ein Geheimnis oder erzähle gar ein Poem, hieß es bei Zeitgenossen wie der Komponistin Clara Schumann. Das liegt vielleicht an dem ständigen Wechsel der Stimmungen, von Dur nach Moll, von spielerisch-tänzerisch zu melancholisch zu ernst, aber sicher auch an ungewöhnlichen, bisweilen sogar exotisch klingenden harmonischen Figuren wie beispielsweise im (in C- und G-Dur gehaltenen) Andante. Immer wieder tun sich neue Klangmöglichkeiten auf.

Die Kammerphilharmoniker arbeiten die so faszinierend ineinandergreifenden Widersprüchlichkeiten und Widerhaken mit ihrer von genauer Beschäftigung mit dem Material zeugenden Klarheit heraus, die schon die ersten beiden Aufnahmen prägten. Da raunt überhaupt nichts, die ganze instrumentale Farbigkeit ist in all ihrer Komplexität zu hören und die Dynamik ist so fein abgestuft, dass es fast magisch wirkt. Das gilt auch für die Interpretation der ungleich ernster wirkenden 4. Sinfonie in e-Moll, die mit erstaunlichen musikhistorischen Bezügen nicht nur an frühbarocke Formen, sondern auch in Richtung Tschaikowsky oder sogar Wagner aufwartet. Das kann man pastos gestalten wie frühere Interpretationen. Oder man stellt es präzise heraus, ohne das Brahmssche Gesamtkonzept zu ignorieren. Genau so haben es Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gemacht.

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