FRANKFURT/ Alte Oper: MIT LUDWIG AM TISCH. HR-SINFONIEORCHESTER, Paavo Järvi

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Dirk Schauß

20.05.2022



Jüri Reinvere Und müde vom Glück, fingen sie an zu tanzen

Jean Sibelius 7. Sinfonie C-Dur op. 105

Ludwig van Beethoven 8. Sinfonie F-Dur op. 93



Vier Jahre musste das Frankfurter Publikum auf ein Wiedersehen mit Paavo Järvi warten. Nun war es so weit! Und der ehemalige Chefdirigent, der heute Ehrendirigent des hr-Sinfonieorchesters ist, hatte ein kontrastreiches Programm vorbereitet.


Der Beginn des Konzertes verzögerte sich, da zunächst die Trompeter des Orchesters nicht anwesend waren und dann nach einer Viertelstunde doch noch den Weg aufs Podium fanden.


Endlich konnte Paavo Järvi auftreten. Doch am Pult angekommen, schaute er intensiv auf die dort liegende Partitur. Er schüttelte den Kopf, das falsche Stück! Järvi trat wieder ab und kehrte dann nach wenigen Minuten mit der richtigen Partitur wieder zurück. Nun konnte es losgehen.


Am Beginn stand die dreiteilige Komposition „Und müde vom Glück, fingen wir an zu tanzen“ des Esten Jüri Reinvere. Es war die deutsche Erstaufführung des Werkes, das Paavo Järvi 2018 mit dem Estischen Festivalorchester uraufgeführt hatte. Reinveres Schaffen ist sehr stark von philosophischen Fragen geprägt. Zivilisationsmüdigkeit, der Niedergang der kulturellen Werte, Undankbarkeit und Verantwortungslosigkeit einer zunehmend degenerierten Gesellschaft waren die Gefühlsaspekte beim Entstehen dieser dreiteiligen Komposition. Die drei Sätze tragen programmatische Titel: „Schatten im Spiegel“, „Bewegung des Wartens“ und „Entbehrung und Verlangen“.


Reinveres Musik bietet ein üppiges Kaleidoskop intensiver Farben. Der große Orchesterapparat wird von ihm gekonnt eingesetzt. Natürlich zeigt die Musik Härten und Dissonanzen auf. Spannend sind dabei die zahlreichen Ruhepunkte, zu den Reinvere findet. Hier dürfen Streicher und Bläser dann durchaus auch zu kantablen Momenten finden. Faszinierend ist der äußerst raffinierte Einsatz des vielfältig eingesetzten Schlagzeugs. Atmosphärische Landschaften entstehen, die dann durch stampfende Rhythmen konterkariert werden. 


Sehr gekonnt geriet ihm die Instrumentierung seiner komplexen und doch fassbaren Komposition. Das hr-Sinfonieorchester spielte bereits hier groß auf und zeigte mit höchstem Engagement seine spieltechnische Klasse. Mit überragender Souveränität führte Paavo Järvi sein Orchester durch dieses spannende Werk. Das Publikum zeigte deutlich seine Zustimmung, über die sich der anwesende Komponist freuen durfte.


Danach stand die 7. und letzte Sinfonie von Jean Sibelius auf dem Programm. Sein symphonischer Schwanengesang, uraufgeführt 1924, nimmt eine Sonderstellung ein. Zum einen enthält das Werk nur einen Satz und ist weniger als eine halbe Stunde lang. Ursprünglich war diese Sinfonie viersätzig angedacht, was Sibelius jedoch verwarf.


Vieles an diesem Werk ist anders. Sibelius entwickelte große choralartige Melodiefolgen in prachtvollen Akkorden, die durchaus in der Nachfolge Bruckners stehen. Besonders deutlich wird das in den exponiert geforderten Posaunen.


Im Gegensatz dazu die herrlichen pastoralen Klänge der Holzbläser und edlen Kantilenen in den Streichern. Dieses Werk hat etwas Endgültiges an sich. Sibelius spürte, damals 58-jährig, dass seine schöpferische Kraft ermüdete.


1926 folgte noch sein letztes Orchesterwerk Tapiola. Bis zu seinem 91. Lebensjahr hüllte sich fortan der große Meister in kompositorisches Schweigen.


Paavo Järvi hat von jeher eine intensive Beziehung zur Musik von Jean Sibelius. Für ihn zählt die 7. Sinfonie zu seinen absoluten Lieblingswerken. Und so war es nicht verwunderlich, dass Järvi sich in seiner Interpretation für einen sehr emotionalen Zugang entschied.


Die Musik tönte als endloser, umarmender Gesang. In fein abgestufter Dynamik ließ Järvi die Themen formulieren und sorgte somit für äußerst intensive Hörmomente. Dieses Werk ist derart klangreich in seiner Gestalt, so dass sich die gut 22 Minuten beinahe doppelt so lange anfühlen, weil die Musik eine äußerst intensive Klangsprache gebraucht.


Das hr-Sinfonieorchester saß auf der Stuhlkannte und beschenkte die Zuhörer mit einer Darbietung von größter Überzeugung. Die Streichergruppe spielte mit intensivem Ton, unterstützt von den frei phrasierenden Holzbläsern. Die Blechbläser, hier vor allem die hinreißenden Posaunen, verwöhnten mit herrlicher klanglicher Noblesse.


Järvi tauchte immer wieder aufs Neue mit dem Orchester in die intensiven Klangwogen ein. Den größten Moment hat sich Sibelius für den Schluss der Sinfonie aufgehoben. Eine letzte Woge im strahlenden, auflösenden, befreienden C-Dur. Ausatmen, es ist vollbracht, Amen!


Eine wunderbare Aufführung des hr-Sinfonieorchesters und Paavo Järvi!

In den Jahren 1811 und 1812 schrieb Ludwig van Beethoven seine achte Sinfonie. Ein Werk voller Lebensfreude und Licht. Zudem gesellen sich Witz und Originalität mit vielen leisen Momenten, Joseph Haydn lässt grüßen.


Mit großem Elan und merklicher Spielfreude stürzte sich das hr-Sinfonieorchester in diese Sinfonie. Järvi wählte durchgängig zügige Tempi. Die Akzente waren hinreichend trocken und ruppig. Auch wenn es sich bei dieser Sinfonie um absolute Musik handelt, so ließ Järvi keinen Zweifel daran, eine heitere Geschichte aus dem Leben des Meister Komponisten zu rekapitulieren. Ja, zeitweilig konnte man denken, Ludwig van Beethoven säße einem am Tisch gegenüber. Järvi schärfte intensiv den Spielwitz, so dehnte er beispielsweise die exponierten Pausen im vierten Satz, was die Spannung immens steigerte. Und auch hier bei Beethoven war das großartig aufspielende hr-Sinfonieorchester ganz in seinem spielerischen Element und realisierte eine spritzige, lebensfreudige Aufführung. Es war vor allem eine Ensembleleistung des Orchesters, mit spielerischer Perfektion, die am Ende viel berechtigte Begeisterung beim Publikum hervorrief.


Dirk Schauß



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