So klingt das Licht Aufbruch aus dem Dunkel

Neue Zürcher Zeitung

20.01.2023 

JULIA RAMSEIER


So klingt das Licht 

Aufbruch aus dem Dunkel Emmanuel Pahud gastiert


Das Universum ist ein musikfeindlicher Raum. Ohne Luft keine Schallwellen, also herrscht dort eigentlich grenzenlose Stille. Doch mit seinem Stück «Lux Stellarum», einem Konzert für Flöte und Orchester, macht der estnische Kompo-nist Erkki-Sven Tüür den Weltraum hörbar: nicht als geräuschlose Einöde, sondern als lichterfüllten Klangkosmos. Bei der Schweizer Erstaufführung hat Tüür im Tonhalle-Chefdirigenten Paavo Järvi, seinem Landsmann und musikalischen Wegbegleiter, und in dem Genfer Flötisten Emmanuel Pahud ideale Interpreten für diese Musik des Sternenlichts gefunden.Immer wieder tritt die Flöte darin in Kontrast zu weiträumigen Klangflächen und Naturgeräuschen des Orchesters, die von einer Riege aus Effekt- und Schlaginstrumenten wie Regenmacher, Vibrafon oder Glockenspiel erzeugt werden.Mal erhebt sich die Solostimme überdiesem Klangteppich als gleissend-helle Lichtquelle, mal verglüht sie wie ein Komet in einem angedeuteten Wispern. Die assoziativen Klang-Gesten erfordern von Pahud Spielweisen, die weit über die klassische Tonerzeugung hinausgehen. Ritt durch die Milchstrasse Wie es Pahud mit seiner überragenden Technik scheinbar mühelos gelingt, beispielsweise die schwierigen «Multiphonics», also obertonreiche Mehrklänge, zu erzeugen und sie mit flirrenden Tonfolgen und virtuosen Glissando-Effekten zu vermischen, ist atemberaubend. Dennoch wirkt die Vielzahl der eingesetzten Stilmittel nie effekthascherisch, sondern verleiht dem Thema des Stücks erst seine Anschaulichkeit. Im Austausch mit dem oft clusterhaften Orchesterklang entsteht tatsächlich der Eindruck eines tönend entgrenzten Universums. Trotzdem bleibt der Himmel bei Tüürklar gegliedert. Es gibt vier Sätze, versehen mit beredten Satztiteln. So folgt auf die eröffnenden «Dancing Asteroids» nahtlos eine «Litany of the Dying Stars», eine schmerzlich verschattete Vision vom Sterben der Sterne am Ende der Zeit. Der musikalische Ritt durch die Milchstrasse verstummt schliesslich mit einem Ton der Flöte, der ins Geräusch abgleitet: ein Ende, das ins Offene weiterklingt und im Ohr bleibt. Auf das kosmische Licht folgt nach der Pause sogleich eine weitere Erleuchtung: mit Mendelssohns selten aufgeführtem «Lobgesang». Die Kombination mit Tüürs Konzert irritiert auf den ersten Blick, liegen doch zwischen den beiden Werken nicht nur fast zwei Jahrhunderte, sondern auch Welten in formaler und stilistischer Hinsicht. Aber das Motiv des Lichts schlägt einen subtilen Bogen: Mendelssohn komponierte seine Sinfonie-Kantate nach Bibeltexten anlässlich des 400. Jahrestags der Erfindung des Buchdrucks und verband damit ausdrücklich ein aufklärerisches Anliegen. Gutenbergs Erfindung symbolisiert hier den Aufbruch aus dem Dunkel der Unwissenheit zur nun möglichen Verbreitung und Teilhabe am göttlichen Wort. An einer Schlüsselstelle verkündet der Chor denn auch mit Nachdruck: «Die Nacht ist vergangen».Bei der Zürcher Aufführung, die den Schlussstein in Paavo Järvis Mendels- sohn-Zyklus mit dem Tonhalle-Orchester bildet, entfaltet die fabelhafte Zürcher Sing-Akademie (Einstudierung:Florian Helgath) hier wie auch an anderen Stellen einen überwältigenden Glanz. Trotz der hochgefahrenen Dyna-mik wirkt der Chorklang immer gestützt und abgerundet, nie forciert. Dazu passt die eher leichte Besetzung der drei Soloparts mit den Sopranistinnen Chen Reiss und Marie Henriette Reinhold so wie dem Tenor Patrick Grahl, der in den Rezitativen eine vorbildliche Textverständlichkeit erreicht. Und mit inspirierenden Impulsen sorgt Järvi dafür, dass das Strahlen und Leuchten der Musik keinen Augenblick lang nachlässt.

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