Interview -Bonn: Paavo Jarvi on the political strength of music
September 23, 2007
By Dieter Schnaas
Botschaft und Bekenntnis
Schon gehört?. Der estnische Dirigent Paavo Järvi über die politische Kraft von Musik
Ludwig van Beethoven hat keine großen Orchester gekannt und nie Richard Wagner gehört. Es ist wichtig, das im Kopf zu behalten, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Musik Beethoven vorschwebte, als er sie schrieb. Das Finale der siebten Symphonie etwa wird heute fast immer in falschem Tempo, zu langsam, gespielt. Warum? Weil die Kommunikation zwischen Dirigent, Orchester und Publikum in der Komfortzone der Hörgewohnheit stattfindet – und nicht durch das vermittelt wird, was in den Noten steht. Es ist ein Fehler, Beethovens Metronomangaben nicht zu folgen: Er war zunehmend taub, nicht zunehmend doof.
Vielleicht muss man sich Beethoven heute als musikalisches Wohnzimmer vorstellen, das sich jeder Dirigent, Musiker und Hörer nach persönlichen Konzerterlebnissen und privaten Vorlieben für die ein oder andere Aufnahme eingerichtet hat – und das deshalb so gemütlich wie verwohnt ist. Ich versuche die Noten so zu lesen, als kämen sie frisch aus der Druckpresse, als wüsste ich nicht, dass sie von Beethoven stammen, als läse ich sie mit den Augen eines Zeitgenossen: nicht mit Brahms und Wagner im Hinterkopf, sondern mit Haydn und Mozart. Im Grunde handelt es sich dabei um das tägliche Handwerk eines Dirigenten. Man muss es ausüben, duldsam und akribisch.
Doch so gut ich mein Handwerk auch beherrschen mag, eine gute Einspielung wird noch nicht daraus. Dazu braucht es den Blick hinter die Noten, die Identifikation mit der emotionalen und menschlichen Seite eines Werkes. Musik wird ja nicht von Komponisten erschaffen, sondern als Rohstoff in ein Kunstwerk umgeschmiedet: Aus einem Hochzeitslied oder Trauermarsch wird ein Meisterwerk, das uns ganz absichtsvoll freut oder hebt oder aufwühlt oder rührt.
Beethoven war nicht nur ein Meister der cleveren Tonsetzerei, er war auch voller Leib und Seele, ein glühender Charakter, der Notenzeilen schrieb, um sich zwischen ihnen ausdrücken zu können: selbstbewusst, aufklärerisch, entflammt in unruhigen Zeiten. Deshalb respektiere ich die modernen Beethoven-Aufnahmen von Roger Norrington und John Eliot Gardiner, den schlanken Fluss, die zackigen Rhythmen, den antiromantischen Zug. Und doch ist Beethoven, bei allen stilistischen Vorbehalten, keiner nähergekommen als Wilhelm Furtwängler. Durch ihn kommuniziert Beethoven mit uns: Seine Musik bohrt sich als Botschaft und Bekenntnis in unsere Seele.
Es ist schön, zu beobachten, dass zunehmend viele zeitgenössische Komponisten Musik nicht mehr als intellektuelles Spiel begreifen, sondern als emotionale Fundgrube und affektive Kommunikationsform. Musik ist vielleicht wie keine andere Kunstform geeignet, Erfahrungen, Ideen und Gedanken in einen geglückten, reflexionslosen Moment zu bündeln. Musik sollte deshalb nie nur Form, sondern immer auch Inhalt und Idee sein. Estnische Komponisten wie Arvo Pärt, Lepo Sumera, Veljo Tormis, Erki-Sven Tüür und Eduard Tubin wissen davon buchstäblich ein Lied zu singen; schließlich haben wir unseren Zusammenhalt und Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft unseren Volksliedern zu verdanken. Die Tschechen haben eine „samtene Revolution“ gehabt, die Balten eine „singende Revolution“, das heißt die Musik war der Fixstern unserer nationalen und kulturellen Selbstvergewisserung. Wenn den Esten heute vonseiten der Politik und der Wirtschaft gesagt wird, sie müssten den Finnen nacheifern und ihr eigenes Nokia finden, dann sage ich: Vergesst es. Nokia kann man kaufen, Sibelius nicht. Nokia ist schön und gut, Sibelius unbezahlbar.
Wenn Sie also moderne Musik hören wollen, die berührt und zu Herzen geht, dann empfehle ich nicht nur aus Stolz die Werke meiner Landsleute – sondern auch, weil ich Schwierigkeiten habe, mich in meinen übrigen Empfehlungen zu beschränken. Ich trage stets einen randvollen 60-GB-iPod mit mir. Da drauf ist zum Beispiel Wagners Ring in fünf Versionen, der wundervoll geschmeidige Salzburger Figaro mit Nikolaus Harnoncourt , aber auch jede Menge Bill Evans, Oscar Peterson, Dave Brubeck – und Ella Fitzgerald: Keine konnte schöner phrasieren. Wer als Orchestermusiker etwas lernen will, muss Ella singen hören.
By Dieter Schnaas
Botschaft und Bekenntnis
Schon gehört?. Der estnische Dirigent Paavo Järvi über die politische Kraft von Musik
Ludwig van Beethoven hat keine großen Orchester gekannt und nie Richard Wagner gehört. Es ist wichtig, das im Kopf zu behalten, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche Musik Beethoven vorschwebte, als er sie schrieb. Das Finale der siebten Symphonie etwa wird heute fast immer in falschem Tempo, zu langsam, gespielt. Warum? Weil die Kommunikation zwischen Dirigent, Orchester und Publikum in der Komfortzone der Hörgewohnheit stattfindet – und nicht durch das vermittelt wird, was in den Noten steht. Es ist ein Fehler, Beethovens Metronomangaben nicht zu folgen: Er war zunehmend taub, nicht zunehmend doof.
Vielleicht muss man sich Beethoven heute als musikalisches Wohnzimmer vorstellen, das sich jeder Dirigent, Musiker und Hörer nach persönlichen Konzerterlebnissen und privaten Vorlieben für die ein oder andere Aufnahme eingerichtet hat – und das deshalb so gemütlich wie verwohnt ist. Ich versuche die Noten so zu lesen, als kämen sie frisch aus der Druckpresse, als wüsste ich nicht, dass sie von Beethoven stammen, als läse ich sie mit den Augen eines Zeitgenossen: nicht mit Brahms und Wagner im Hinterkopf, sondern mit Haydn und Mozart. Im Grunde handelt es sich dabei um das tägliche Handwerk eines Dirigenten. Man muss es ausüben, duldsam und akribisch.
Doch so gut ich mein Handwerk auch beherrschen mag, eine gute Einspielung wird noch nicht daraus. Dazu braucht es den Blick hinter die Noten, die Identifikation mit der emotionalen und menschlichen Seite eines Werkes. Musik wird ja nicht von Komponisten erschaffen, sondern als Rohstoff in ein Kunstwerk umgeschmiedet: Aus einem Hochzeitslied oder Trauermarsch wird ein Meisterwerk, das uns ganz absichtsvoll freut oder hebt oder aufwühlt oder rührt.
Beethoven war nicht nur ein Meister der cleveren Tonsetzerei, er war auch voller Leib und Seele, ein glühender Charakter, der Notenzeilen schrieb, um sich zwischen ihnen ausdrücken zu können: selbstbewusst, aufklärerisch, entflammt in unruhigen Zeiten. Deshalb respektiere ich die modernen Beethoven-Aufnahmen von Roger Norrington und John Eliot Gardiner, den schlanken Fluss, die zackigen Rhythmen, den antiromantischen Zug. Und doch ist Beethoven, bei allen stilistischen Vorbehalten, keiner nähergekommen als Wilhelm Furtwängler. Durch ihn kommuniziert Beethoven mit uns: Seine Musik bohrt sich als Botschaft und Bekenntnis in unsere Seele.
Es ist schön, zu beobachten, dass zunehmend viele zeitgenössische Komponisten Musik nicht mehr als intellektuelles Spiel begreifen, sondern als emotionale Fundgrube und affektive Kommunikationsform. Musik ist vielleicht wie keine andere Kunstform geeignet, Erfahrungen, Ideen und Gedanken in einen geglückten, reflexionslosen Moment zu bündeln. Musik sollte deshalb nie nur Form, sondern immer auch Inhalt und Idee sein. Estnische Komponisten wie Arvo Pärt, Lepo Sumera, Veljo Tormis, Erki-Sven Tüür und Eduard Tubin wissen davon buchstäblich ein Lied zu singen; schließlich haben wir unseren Zusammenhalt und Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft unseren Volksliedern zu verdanken. Die Tschechen haben eine „samtene Revolution“ gehabt, die Balten eine „singende Revolution“, das heißt die Musik war der Fixstern unserer nationalen und kulturellen Selbstvergewisserung. Wenn den Esten heute vonseiten der Politik und der Wirtschaft gesagt wird, sie müssten den Finnen nacheifern und ihr eigenes Nokia finden, dann sage ich: Vergesst es. Nokia kann man kaufen, Sibelius nicht. Nokia ist schön und gut, Sibelius unbezahlbar.
Wenn Sie also moderne Musik hören wollen, die berührt und zu Herzen geht, dann empfehle ich nicht nur aus Stolz die Werke meiner Landsleute – sondern auch, weil ich Schwierigkeiten habe, mich in meinen übrigen Empfehlungen zu beschränken. Ich trage stets einen randvollen 60-GB-iPod mit mir. Da drauf ist zum Beispiel Wagners Ring in fünf Versionen, der wundervoll geschmeidige Salzburger Figaro mit Nikolaus Harnoncourt , aber auch jede Menge Bill Evans, Oscar Peterson, Dave Brubeck – und Ella Fitzgerald: Keine konnte schöner phrasieren. Wer als Orchestermusiker etwas lernen will, muss Ella singen hören.
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