hr-Sinfoniekonzert mit Paavo Järvi und Truls Mørk
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Pressestimmen
15.04.2011 | Frankfurt | Alte Oper »... wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion ...«
Der norwegische Cello-Virtuose Truls Mørk kehrte nach fünf Jahren mit Elgars melancholischem Cellokonzert zum hr-Sinfonieorchester zurück
Dramatisch spitzt Nielsen die Gegensätze im ersten der beiden Sätze zu. Unerbittlich schnarrt der militärische Marschrhythmus der Rührtrommel in die weich fließende Streichermelodie hinein, versucht sie förmlich zu zerstören. ... Järvis und der hr-Sinfoniker ungemein dichtes, beredtes Musizieren entfaltete von Beginn an eine intensive Sogwirkung: ebenso überlegt wie überlegen disponiert die Steigerungslinien, mit beklemmender bildhafter Kraft dargestellt die heraufziehende und offen ausbrechende Gewalt. Erfreulich durchsichtig und mit bestechender Tiefenschärfe gelang ebenfalls der heikle, komplexe zweiten Teil, der die aufhebende Synthese bringt. Weder bestand die Gefahr eines Abfalls der Spannung noch traten auch nur momentweise Leerstellen auf. Järvi und dem vorzüglich musizierenden Orchester gelang ein mehr als überzeugendes Plädoyer für die im Konzertsaal nur selten anzutreffende Musik des Dänen.
Die herbstlichen Farben von Elgars viersätzigem e-moll-Cellokonzert opus 85 ließ Solist Truls Mørk mit »singendem« Ton aufblühen. Ein fast zu schöner Abgesang auf die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, gleichwohl vom Solisten wie vom anschmiegsamen Orchester ohne Übertreibungen und falsches Pathos artikuliert.
Eröffnet hatte das »nordische« Programm die unvollendete elfte Sinfonie (1982) des Esten Eduard Tubin. Der harte Paukenrhythmus im Kontrast zu rasch fließender Bewegung verwies in deutlich komprimierterer Form auf die Konzeption der Nielsen-Sinfonie.
Ulrich Boller, Frankfurter Neue Presse,
16.04.2011
Für die Schlagzeuger des hr-Sinfonieorchesters war das jüngste Konzert in Frankfurts Alter Oper Schwerstarbeit. Denn sowohl in Eduard Tubins 11. Sinfonie als auch in der 5. Sinfonie von Carl Nielsen liegt ein Großteil der Klangdramaturgie in ihren Händen. Tubins letzte Sinfonie von 1982 ist ein zehnminütiger Parcours, mit dem sich orchestraler Athletismus feiert. Die Aufschwünge der gymnastisch gefassten Streicher, das muskelstarke Blech und das bewegungssteigernde Schlagzeug wurden von Paavo Järvi mit seinen Musikern überlegen in Szene gesetzt.
Das Gegenteil zur Tubinschen Extravertiertheit stellte Edward Elgars Cello-Konzert von 1919 dar. Wie ein Widerspruch in sich wirkt der große konzertante Aufwand, der allein dafür da zu sein scheint, sich ständig in verträumt-traurige Innerlichkeit zurückzunehmen. Bei vielen Aufführungen führt das zu einem langen Cello-Solo mit einer Tutti-Klangtapete. Zwischen dem Solisten Truls Mørk und Järvi aber herrschte eine Balance, die Deutlichkeit im Dämmrigen schuf, ohne mehr Licht als nötig zu machen. Der dunkle, volumenreiche, aber nie übergewichtige Ton des norwegischen Solisten war von gleichem Format wie die Klangfiguren, die Järvi dem Orchester abverlangte.
Zuletzt, bei der Nielsen-Sinfonie von 1922, war die ganze Dynamik-Palette des Orchesters gefordert und regelrechte Akkord-Arbeit der Schlagzeug-Gruppe. Sie hatte eine Bandbreite bis zu aleatorischen Prozessen zu bewältigen. Nielsens Synthesen aus Störung und Steigerung waren wie aus einem Guss und das mittels Pauken, Rührtrommel und anderem Schlagwerk inszenierte Chaos fesselnde, produktive Unruhe.
Bernhard Uske, Frankfurter Rundschau,
18.04.2011
... Einen großen Teil der Informationen über den bedeutenden dänischen Sinfoniker Nielsen, dessen musikalische Komplexität subtile Kenntnis seiner sechs Sinfonien erst bei mehrmaligem konzentrierten Hören zulässt, verdankt die Musikwelt dem unermüdlichen Einsatz der Familie Järvi: Vater Neeme, der ein seit Jahrzehnten in aller Welt geachteter und geschätzter Künstler ist; Sohn Paavo, dessen Ruhm dem seines Vaters nicht nachsteht; Paavos Bruder Kristjan Järvi, der von 2012 an das MDR-Sinfonieorchester Leipzig leiten wird. ...
Kaum hoch genug einzuschätzen ist ihr Engagement für das Œuvre Eduard Tubins, des wohl größten estnischen Sinfonikers ..., und so bot Paavo Järvis Frankfurter Konzert eine der wenigen Gelegenheiten zu einer kleinen Tubin-Kostprobe. Mehr als zehn Minuten waren es nicht, denn Tubins elfte Sinfonie aus seinem Todesjahr 1982 ist nicht nur seine letzte, sondern blieb auch Fragment: Lediglich der Eröffnungssatz (Allegro vivace con spirito) existiert, reicht jedoch allemal, um Tubins Musik als interessant, originär, komplex und klangintensiv zu erkennen. Markante rhythmische Profile verbinden sich darin mit dem Bewusstsein für subtile Klangmischungen. Auch auf dem Gebiet der Sinfonik gibt es noch viel zu entdecken – man denke an die zahlreichen Sinfonien Mieczyslaw Weinbergs.
Die sechs Sinfonien Carl Nielsens erlauben weiterreichende Vergleiche, denn mit einigem Bemühen haben Musikfreunde heute durchaus die Chance, diese Werke öfter zu hören. Paavo Järvis Darbietung der Sinfonie Nr. 5 op. 50 mit dem hr-Sinfonieorchester war nicht nur fulminant und brillant bis in kleinste motivische Verästelungen, sondern führte auch glasklar vor Ohren, wie konsequent der dänische Sinfoniker die Moderne weiterdachte: Gegen die zuweilen klangliche Härte und rhythmische Insistenz dieser fünften von 1922 scheint die sechs Jahre zuvor vollendete vierte Sinfonie op. 29 vergleichsweise opulent und spätromantisch in ihrem »Kampfgeist« um das letzten Endes nicht zu verdrängende »Gute«. In der Fünften lässt sich nichts verdrängen oder durch musikalische Synthese überwinden – vor allem jene Präsenz der kleinen Trommel nicht, die ständig »stört« und, endlich einmal still, wie ein Kobold plötzlich außerhalb des Saals wiederaufersteht. Dem klanglich reduzierten, oft transparenten Kopfsatz steht ein wesentlich komplizierteres Finale innerhalb dieser zweiteiligen Anlage gegenüber, das Järvi mit ebensolcher Klarheit strukturell durchdrungen hat – eine wegweisende Interpretation.
Nicht weniger spannend war zuvor Truls Mørks weltverlorene Deutung des Konzerts für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85 von Edward Elgar geglückt – ein trauriges, melancholisches, sanftes Werk und eine Musik, die der norwegische Cellovirtuose überwiegend zart und doch klanggesättigt in den Raum stellte. Viel Beifall und eine Zugabe von Benjamin Britten.
Harald Budweg, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
18.04.2011
Es müssen nicht immer die üblichen Verdächtigen sein. Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester nahmen für Werke von Eduard Tubin und Carl Nielsen ein. Und hatten dazu mit dem Norweger Truls Mork den idealen Solisten für das Cellokonzert des Briten Edward Elgar erwählt.
Ein Funkkonzert der Besonderheiten in Frankfurts Alter Oper, und daher umso spannender. Wer kennt schon Eduard Tubin, den vor den Sowjets nach Schweden geflohenen estnischen Komponisten, der an tonalen Grenzen eine eigenwillige orchestrale Farbigkeit entwickelte? Seine Landsleute Paavo Järvi und dessen Vater Neeme brechen da kontinuierlich eine Lanze. Von Tubins 11. Sinfonie ist nur der Kopfsatz überliefert, den er wegen seines Krebsleidens nicht orchestrieren konnte, was Kaljo Raid besorgte.
Heftige Kesselpauken-Schläge eröffnen diesen Satz, dessen unruhig treibendes Geigenthema von einem Akkorde-Schwall der Blechbläser überschüttet und von markanten Horn-Einwürfen ausgebremst wird. Heftig rhythmisierte Klarinetten-Girlanden spielen noch dem herben tänzerischen Charakter zu, die vielen klangmalerischen Momente kommen Järvis dynamischer Differenzierungskunst entgegen. Auch in jener zwischen 1920 und 1922 entstandenen 5. Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, in der kleine Terz und Quarte zum komplexen Geflecht geknüpft sind.
.... Järvi und die spürbar angetanen hr-Sinfoniker schärfen den Blick auf Details dieses ostinaten Klangflusses, auf wie Orgelregister wirkende Blechbläserfarben, auf ein feinnerviges Streicher-Fugato oder eine Art Passacaglia wie in sakraler Sphäre. Das ist wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion und hält munter.
Wie das kunstvoll-kultivierte Spiel des wieder aufs Konzert-Karussell aufgesprungenen Truls Mork in Edward Elgars lyrisch versponnenem Cellokonzert. Von Anbeginn herrscht ein Hang zum Elegischen, zum Weltfernen, auch in den wie Rezitative anmutenden Soli. Selbst im Scherzo gibt es keinerlei virtuose Schaumschlägerei. Schier drucklos gestrichen, aber weittragend auf dem ehrwürdigen Instrument dann das Adagio, und selbst das tänzerische Finale scheint eher ein versonnener Blick zurück. Geschrieben von einem, der mit der Welt abgeschlossen hat – gespielt von einem, der das Poesievolle liebt. Was die Zugabe, den Satz aus einer Suite für Violoncello solo von Benjamin Britten, zu einer Art Selbstgespräch macht, mit bohrenden Gedanken.
Klaus Ackermann, Offenbach Post,
18.04.2011
Ein estnischer Dirigent, ein norwegischer Solo-Cellist und Sinfonien aus Dänemark und Estland – das Konzert des hr-Sinfonieorchesters stand am Freitag ganz im Zeichen des hohen Nordens. Dennoch herrschte alles andere als eine kühle Atmosphäre in der Alten Oper Frankfurt: Dirigent Paavo Järvi und seine Orchestermusiker zelebrierten die nordischen Klänge leidenschaftlich und intensiv, manchmal auch mit herber Frische. ...
Dass es sich bei dem ersten Stück des Abends – der 11. Sinfonie Tubins – um eine Herzensangelegenheit des Dirigenten handelte, spürte nicht nur Järvi selbst. Ohne große Gesten bewahrte er die atmosphärische Dichte des nur neun Minuten andauernden Werkes. Prägnante Paukenschläge bildeten das Fundament für das wogende Thema des Orchesters, die Streicher wandelten sicher durch die fugenartigen Sätze. Mit straffem Tempo gelang die Reprise samt des temperamentvollen Finales – Järvi wusste die sinfonische Rarität seines baltischen Landsmannes in Szene zu setzen. Dabei knüpfte er an eine Familientradition an: Sein Vater Neeme Järvi hatte in den 1980er Jahren die Wiederentdeckung Tubins initiiert, dessen Werke im sowjetisch beherrschten Estland lange verboten waren.
Mit dem Cellokonzert des Briten Edward Elgars machte das Sinfonieorchester Platz für den Norweger Truls Mørk: ... Er musizierte nicht bloß, sondern lebte das Stück, atmete tief, bevor er zum schwermütigen Thema des ersten Satzes ansetzte. Zart und weich wandelte er durch die elegischen Takte, virtuos durch die Scherzo-Passagen. ...
Ebenso sensibel intonierte das Orchester die melancholische Grundstimmung: Die Bratschen wiegten sanft das traurige Hauptthema, Streicher und Bläser begleiteten dezent das Soloinstrument. Im Adagio verschmolzen Cello und Orchester organisch zu einem Klangkörper: Järvi und Mørk präsentierten sich als eingespieltes Team.
Nach den sehnsuchtsvollen Klängen sorgte das Orchester mit einem markanten Dänen für Abkühlung: Kraftvoll und frisch erklang Carl Nielsens fünfte Sinfonie; Järvis Orchester überzeugte mit einer gleichsam energischen und originellen Tonsprache. ... Wie gewohnt wahrte sich Järvi jedoch auch hier vor Effektmalerei: Der kontrastreiche Orchestersatz kam authentisch daher. Das lyrische Adagio-Thema des zweiten Teils entwickelte sich zu spannungsreicher Polyphonie und mündete in eine strahlende Hymne. Rastlose Figuren in den Flöten und Klarinetten und eine turbulente Harmonik steigerten sich zu einem Kampf zwischen dem Orchester und der abtrünnigen kleinen Trommel, die sich dem Thema des Orchesters schließlich beugen musste. Nach dem triumphalen Finale bedankte sich das Publikum mit tosendem Applaus.
Christina Rühl, Gießener Allgemeine Zeitung,
18.04.2011
http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=37844&key=standard_document_41323821
Pressestimmen
15.04.2011 | Frankfurt | Alte Oper »... wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion ...«
Der norwegische Cello-Virtuose Truls Mørk kehrte nach fünf Jahren mit Elgars melancholischem Cellokonzert zum hr-Sinfonieorchester zurück
Dramatisch spitzt Nielsen die Gegensätze im ersten der beiden Sätze zu. Unerbittlich schnarrt der militärische Marschrhythmus der Rührtrommel in die weich fließende Streichermelodie hinein, versucht sie förmlich zu zerstören. ... Järvis und der hr-Sinfoniker ungemein dichtes, beredtes Musizieren entfaltete von Beginn an eine intensive Sogwirkung: ebenso überlegt wie überlegen disponiert die Steigerungslinien, mit beklemmender bildhafter Kraft dargestellt die heraufziehende und offen ausbrechende Gewalt. Erfreulich durchsichtig und mit bestechender Tiefenschärfe gelang ebenfalls der heikle, komplexe zweiten Teil, der die aufhebende Synthese bringt. Weder bestand die Gefahr eines Abfalls der Spannung noch traten auch nur momentweise Leerstellen auf. Järvi und dem vorzüglich musizierenden Orchester gelang ein mehr als überzeugendes Plädoyer für die im Konzertsaal nur selten anzutreffende Musik des Dänen.
Die herbstlichen Farben von Elgars viersätzigem e-moll-Cellokonzert opus 85 ließ Solist Truls Mørk mit »singendem« Ton aufblühen. Ein fast zu schöner Abgesang auf die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg, gleichwohl vom Solisten wie vom anschmiegsamen Orchester ohne Übertreibungen und falsches Pathos artikuliert.
Eröffnet hatte das »nordische« Programm die unvollendete elfte Sinfonie (1982) des Esten Eduard Tubin. Der harte Paukenrhythmus im Kontrast zu rasch fließender Bewegung verwies in deutlich komprimierterer Form auf die Konzeption der Nielsen-Sinfonie.
Ulrich Boller, Frankfurter Neue Presse,
16.04.2011
Für die Schlagzeuger des hr-Sinfonieorchesters war das jüngste Konzert in Frankfurts Alter Oper Schwerstarbeit. Denn sowohl in Eduard Tubins 11. Sinfonie als auch in der 5. Sinfonie von Carl Nielsen liegt ein Großteil der Klangdramaturgie in ihren Händen. Tubins letzte Sinfonie von 1982 ist ein zehnminütiger Parcours, mit dem sich orchestraler Athletismus feiert. Die Aufschwünge der gymnastisch gefassten Streicher, das muskelstarke Blech und das bewegungssteigernde Schlagzeug wurden von Paavo Järvi mit seinen Musikern überlegen in Szene gesetzt.
Das Gegenteil zur Tubinschen Extravertiertheit stellte Edward Elgars Cello-Konzert von 1919 dar. Wie ein Widerspruch in sich wirkt der große konzertante Aufwand, der allein dafür da zu sein scheint, sich ständig in verträumt-traurige Innerlichkeit zurückzunehmen. Bei vielen Aufführungen führt das zu einem langen Cello-Solo mit einer Tutti-Klangtapete. Zwischen dem Solisten Truls Mørk und Järvi aber herrschte eine Balance, die Deutlichkeit im Dämmrigen schuf, ohne mehr Licht als nötig zu machen. Der dunkle, volumenreiche, aber nie übergewichtige Ton des norwegischen Solisten war von gleichem Format wie die Klangfiguren, die Järvi dem Orchester abverlangte.
Zuletzt, bei der Nielsen-Sinfonie von 1922, war die ganze Dynamik-Palette des Orchesters gefordert und regelrechte Akkord-Arbeit der Schlagzeug-Gruppe. Sie hatte eine Bandbreite bis zu aleatorischen Prozessen zu bewältigen. Nielsens Synthesen aus Störung und Steigerung waren wie aus einem Guss und das mittels Pauken, Rührtrommel und anderem Schlagwerk inszenierte Chaos fesselnde, produktive Unruhe.
Bernhard Uske, Frankfurter Rundschau,
18.04.2011
... Einen großen Teil der Informationen über den bedeutenden dänischen Sinfoniker Nielsen, dessen musikalische Komplexität subtile Kenntnis seiner sechs Sinfonien erst bei mehrmaligem konzentrierten Hören zulässt, verdankt die Musikwelt dem unermüdlichen Einsatz der Familie Järvi: Vater Neeme, der ein seit Jahrzehnten in aller Welt geachteter und geschätzter Künstler ist; Sohn Paavo, dessen Ruhm dem seines Vaters nicht nachsteht; Paavos Bruder Kristjan Järvi, der von 2012 an das MDR-Sinfonieorchester Leipzig leiten wird. ...
Kaum hoch genug einzuschätzen ist ihr Engagement für das Œuvre Eduard Tubins, des wohl größten estnischen Sinfonikers ..., und so bot Paavo Järvis Frankfurter Konzert eine der wenigen Gelegenheiten zu einer kleinen Tubin-Kostprobe. Mehr als zehn Minuten waren es nicht, denn Tubins elfte Sinfonie aus seinem Todesjahr 1982 ist nicht nur seine letzte, sondern blieb auch Fragment: Lediglich der Eröffnungssatz (Allegro vivace con spirito) existiert, reicht jedoch allemal, um Tubins Musik als interessant, originär, komplex und klangintensiv zu erkennen. Markante rhythmische Profile verbinden sich darin mit dem Bewusstsein für subtile Klangmischungen. Auch auf dem Gebiet der Sinfonik gibt es noch viel zu entdecken – man denke an die zahlreichen Sinfonien Mieczyslaw Weinbergs.
Die sechs Sinfonien Carl Nielsens erlauben weiterreichende Vergleiche, denn mit einigem Bemühen haben Musikfreunde heute durchaus die Chance, diese Werke öfter zu hören. Paavo Järvis Darbietung der Sinfonie Nr. 5 op. 50 mit dem hr-Sinfonieorchester war nicht nur fulminant und brillant bis in kleinste motivische Verästelungen, sondern führte auch glasklar vor Ohren, wie konsequent der dänische Sinfoniker die Moderne weiterdachte: Gegen die zuweilen klangliche Härte und rhythmische Insistenz dieser fünften von 1922 scheint die sechs Jahre zuvor vollendete vierte Sinfonie op. 29 vergleichsweise opulent und spätromantisch in ihrem »Kampfgeist« um das letzten Endes nicht zu verdrängende »Gute«. In der Fünften lässt sich nichts verdrängen oder durch musikalische Synthese überwinden – vor allem jene Präsenz der kleinen Trommel nicht, die ständig »stört« und, endlich einmal still, wie ein Kobold plötzlich außerhalb des Saals wiederaufersteht. Dem klanglich reduzierten, oft transparenten Kopfsatz steht ein wesentlich komplizierteres Finale innerhalb dieser zweiteiligen Anlage gegenüber, das Järvi mit ebensolcher Klarheit strukturell durchdrungen hat – eine wegweisende Interpretation.
Nicht weniger spannend war zuvor Truls Mørks weltverlorene Deutung des Konzerts für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85 von Edward Elgar geglückt – ein trauriges, melancholisches, sanftes Werk und eine Musik, die der norwegische Cellovirtuose überwiegend zart und doch klanggesättigt in den Raum stellte. Viel Beifall und eine Zugabe von Benjamin Britten.
Harald Budweg, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
18.04.2011
Es müssen nicht immer die üblichen Verdächtigen sein. Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester nahmen für Werke von Eduard Tubin und Carl Nielsen ein. Und hatten dazu mit dem Norweger Truls Mork den idealen Solisten für das Cellokonzert des Briten Edward Elgar erwählt.
Ein Funkkonzert der Besonderheiten in Frankfurts Alter Oper, und daher umso spannender. Wer kennt schon Eduard Tubin, den vor den Sowjets nach Schweden geflohenen estnischen Komponisten, der an tonalen Grenzen eine eigenwillige orchestrale Farbigkeit entwickelte? Seine Landsleute Paavo Järvi und dessen Vater Neeme brechen da kontinuierlich eine Lanze. Von Tubins 11. Sinfonie ist nur der Kopfsatz überliefert, den er wegen seines Krebsleidens nicht orchestrieren konnte, was Kaljo Raid besorgte.
Heftige Kesselpauken-Schläge eröffnen diesen Satz, dessen unruhig treibendes Geigenthema von einem Akkorde-Schwall der Blechbläser überschüttet und von markanten Horn-Einwürfen ausgebremst wird. Heftig rhythmisierte Klarinetten-Girlanden spielen noch dem herben tänzerischen Charakter zu, die vielen klangmalerischen Momente kommen Järvis dynamischer Differenzierungskunst entgegen. Auch in jener zwischen 1920 und 1922 entstandenen 5. Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, in der kleine Terz und Quarte zum komplexen Geflecht geknüpft sind.
.... Järvi und die spürbar angetanen hr-Sinfoniker schärfen den Blick auf Details dieses ostinaten Klangflusses, auf wie Orgelregister wirkende Blechbläserfarben, auf ein feinnerviges Streicher-Fugato oder eine Art Passacaglia wie in sakraler Sphäre. Das ist wundersame Klanglichkeit in dynamischer Aktion und hält munter.
Wie das kunstvoll-kultivierte Spiel des wieder aufs Konzert-Karussell aufgesprungenen Truls Mork in Edward Elgars lyrisch versponnenem Cellokonzert. Von Anbeginn herrscht ein Hang zum Elegischen, zum Weltfernen, auch in den wie Rezitative anmutenden Soli. Selbst im Scherzo gibt es keinerlei virtuose Schaumschlägerei. Schier drucklos gestrichen, aber weittragend auf dem ehrwürdigen Instrument dann das Adagio, und selbst das tänzerische Finale scheint eher ein versonnener Blick zurück. Geschrieben von einem, der mit der Welt abgeschlossen hat – gespielt von einem, der das Poesievolle liebt. Was die Zugabe, den Satz aus einer Suite für Violoncello solo von Benjamin Britten, zu einer Art Selbstgespräch macht, mit bohrenden Gedanken.
Klaus Ackermann, Offenbach Post,
18.04.2011
Ein estnischer Dirigent, ein norwegischer Solo-Cellist und Sinfonien aus Dänemark und Estland – das Konzert des hr-Sinfonieorchesters stand am Freitag ganz im Zeichen des hohen Nordens. Dennoch herrschte alles andere als eine kühle Atmosphäre in der Alten Oper Frankfurt: Dirigent Paavo Järvi und seine Orchestermusiker zelebrierten die nordischen Klänge leidenschaftlich und intensiv, manchmal auch mit herber Frische. ...
Dass es sich bei dem ersten Stück des Abends – der 11. Sinfonie Tubins – um eine Herzensangelegenheit des Dirigenten handelte, spürte nicht nur Järvi selbst. Ohne große Gesten bewahrte er die atmosphärische Dichte des nur neun Minuten andauernden Werkes. Prägnante Paukenschläge bildeten das Fundament für das wogende Thema des Orchesters, die Streicher wandelten sicher durch die fugenartigen Sätze. Mit straffem Tempo gelang die Reprise samt des temperamentvollen Finales – Järvi wusste die sinfonische Rarität seines baltischen Landsmannes in Szene zu setzen. Dabei knüpfte er an eine Familientradition an: Sein Vater Neeme Järvi hatte in den 1980er Jahren die Wiederentdeckung Tubins initiiert, dessen Werke im sowjetisch beherrschten Estland lange verboten waren.
Mit dem Cellokonzert des Briten Edward Elgars machte das Sinfonieorchester Platz für den Norweger Truls Mørk: ... Er musizierte nicht bloß, sondern lebte das Stück, atmete tief, bevor er zum schwermütigen Thema des ersten Satzes ansetzte. Zart und weich wandelte er durch die elegischen Takte, virtuos durch die Scherzo-Passagen. ...
Ebenso sensibel intonierte das Orchester die melancholische Grundstimmung: Die Bratschen wiegten sanft das traurige Hauptthema, Streicher und Bläser begleiteten dezent das Soloinstrument. Im Adagio verschmolzen Cello und Orchester organisch zu einem Klangkörper: Järvi und Mørk präsentierten sich als eingespieltes Team.
Nach den sehnsuchtsvollen Klängen sorgte das Orchester mit einem markanten Dänen für Abkühlung: Kraftvoll und frisch erklang Carl Nielsens fünfte Sinfonie; Järvis Orchester überzeugte mit einer gleichsam energischen und originellen Tonsprache. ... Wie gewohnt wahrte sich Järvi jedoch auch hier vor Effektmalerei: Der kontrastreiche Orchestersatz kam authentisch daher. Das lyrische Adagio-Thema des zweiten Teils entwickelte sich zu spannungsreicher Polyphonie und mündete in eine strahlende Hymne. Rastlose Figuren in den Flöten und Klarinetten und eine turbulente Harmonik steigerten sich zu einem Kampf zwischen dem Orchester und der abtrünnigen kleinen Trommel, die sich dem Thema des Orchesters schließlich beugen musste. Nach dem triumphalen Finale bedankte sich das Publikum mit tosendem Applaus.
Christina Rühl, Gießener Allgemeine Zeitung,
18.04.2011
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