Nordische Frische beim HR-Sinfoniekonzert

giessener-allgemeine.de
Christina Rühl
17.04.2011

Ein estnischer Dirigent, ein norwegischer Solo-Cellist und Sinfonien aus Dänemark und Estland - das Konzert des HR-Sinfonieorchesters stand am Freitag ganz im Zeichen des hohen Nordens.


Das HR-Sinfonieorchester mit Chefdirigent Paavo Järvi (rechts). (Fotos: HR/Anna Meuer/Virgin Classics/Stéphane de Bourgies)

Dennoch herrschte alles andere als eine kühle Atmosphäre in der Alten Oper Frankfurt: Dirigent Paavo Järvi und seine Orchestermusiker zelebrierten die nordischen Klänge leidenschaftlich und intensiv, manchmal auch mit herber Frische. Die 11. Sinfonie von Eduard Tubin und Carl Nielsens fünfte Sinfonie umrahmten das Cellokonzert Edward Elgars, das Cellist Truls Mørk mit inniger Melancholie intonierte.
Dass es sich bei dem ersten Stück des Abends - der 11. Sinfonie Tubins - um eine Herzensangelegenheit des Dirigenten handelte, spürte nicht nur Järvi selbst. Ohne große Gesten bewahrte er die atmosphärische Dichte des nur neun Minuten andauernden Werkes. Prägnante Paukenschläge bildeten das Fundament für das wogende Thema des Orchesters, die Streicher wandelten sicher durch die fugenartigen Sätze. Mit straffem Tempo gelang die Reprise samt des temperamentvollen Finales - Järvi wusste die sinfonische Rarität seines baltischen Landsmannes in Szene zu setzen. Dabei knüpfte er an eine Familientradition an: Sein Vater Neeme Järvi hatte in den 1980er Jahren die Wiederentdeckung Tubins initiiert, dessen Werke im sowjetisch beherrschten Estland lange verboten waren.

Mit dem Cellokonzert des Briten Edward Elgars machte das Sinfonieorchester Platz für den Norweger Truls Mørk: Der Cellist stand eine halbe Stunde lang im Zentrum der Aufmerksamkeit. Mørk nutze das Privileg vom ersten bis zum letzen Anstrich: Er musizierte nicht bloß, sondern lebte das Stück, atmete tief, bevor er zum schwermütigen Thema des ersten Satzes ansetzte. Zart und weich wandelte er durch die elegischen Takte, virtuos durch die Scherzo-Passagen. Dabei wahrte er sich bei seinen spätromantischen Höhenflügen jedoch vor zu viel Pathos.

Ebenso sensibel intonierte das Orchester die melancholische Grundstimmung: Die Bratschen wiegten sanft das traurige Hauptthema, Streicher und Bläser begleiteten dezent das Soloinstrument. Im Adagio verschmolzen Cello und Orchester organisch zu einem Klangkörper: Järvi und Mørk präsentierten sich als eingespieltes Team.

Nach den sehnsuchtsvollen Klängen sorgte das Orchester mit einem markanten Dänen für Abkühlung: Kraftvoll und frisch erklang Carl Nielsens fünfte Sinfonie; Järvis Orchester überzeugte mit einer gleichsam energischen und originellen Tonsprache. Jenseits impressionistischer Klangflächen meisterten die Musiker ebenso die perkussiven Herausforderungen. Das Thema des ersten Satzes verdichtete sich, wurde begleitet vom monotonen und unerbittlichen Rhythmus der kleinen Trommel - ein Effekt, den auch Schostakowitsch später in seiner »Leningrader« Sinfonie verwendete.

Wie gewohnt wahrte sich Järvi jedoch auch hier vor Effektmalerei: Der kontrastreiche Orchestersatz kam authentisch daher. Das lyrische Adagio-Thema des zweiten Teils entwickelte sich zu spannungsreicher Polyphonie und mündete in eine strahlende Hymne. Rastlose Figuren in den Flöten und Klarinetten und eine turbulente Harmonik steigerten sich zu einem Kampf zwischen dem Orchester und der abtrünnigen kleinen Trommel, die sich dem Thema des Orchesters schließlich beugen musste. Nach dem triumphalen Finale bedankte sich das Publikum mit tosendem Applaus. Christina Rühl

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