Zweites Gastspiel der Bremer Kammerphilharmonie in Bad Kissingen mit Überraschung

infranken.de
Thomas Ahnert
18.06.2018

Der Geiger Christian Tetzlaff und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen überwältigten das Publikum mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms.



Die Schlacht ist geschlagen: Christian Tetzlaff nach dem Violinkonzert von Brahms. Foto: Gerhild Ahnert

Das zweite Gastspiel der Bremer Kammerphilharmonie begann ja schon mit einer Überraschung. Dass man in einem Konzert über Musik von Franz Schubert einmal würde lachen können, damit hatte man einfach nicht gerechnet. Aber m,an musste wirklich aufpassen, dass das Lachen nicht laut wurde. Seine "Ouvertüre im italienischen Stil" ist ja schon aus einer Laune heraus entstanden. Schubert hatte in Wien Rossinis Oper "Tancredi" gesehen und mit Freunden gewettet, dass er genauso komponieren könne wie der berühmte Italiener. Der Beweis ist diese Ouvertüre.
Es ist ja schon erheiternd, wie gut Schubert nicht nur Rossinis Ouvertürenstrukturen, sondern auch seine Klischees durchschaute und ihn teilweise auch zitierte. Aber wirklich lachen konnte man über die liebevolle Ironie, mit der die Bremer diesen rossinisierten Schubert spielten, wie sie ihm auf die Schliche kamen und diese zelebrierten. Da wurde immer ein bisschen überzeichnet, ohne freilich in die Nähe der Karikatur zu geraten. Vor allem die typischen Beschleunigungen gelangten ein bisschen behäbiger, ausladender an ihre Zielpunkte. So wurde die Pfiffigkeit der Musik eine dreifache: die Rossinis, die Schuberts und die der Bremer.

Völlig ungewohnter Zugang

Aber dann kam der Überfall: Ausgerechnet das Violinkonzert von Johannes Brahms! Ausgerechnet das Konzert, das so gerne von Solisten und Dirigenten zelebriert wird, wie kein anderes, und das nicht nur, weil sich so die enormen virtuosen Anforderungen ein bisschen retuschieren lassen, sondern auch, weil es als Inbegriff einer in sich ruhenden späten Romantik gilt.
Natürlich sind Paavo Järvi und seine Bremer bei ihrem Brahms-Projekt mit dem Anspruch angetreten, den Hanseaten aus der Ecke der Gemütlichkeit herauszuholen, und das hatten sie ja schon beim Eröffnungskonzert mit der 4. Sinfonie höchst erfolgreich bewiesen. Man konnte also gewarnt sein.
Schon das Orchestervorspiel mit seinen beiden Themenblöcken, so lang und so üppig wie eine halbe Sinfonie, fand auf einem erstaunlich hohen, engagierten Niveau statt, das signalisierte, dass der Solist einiges würde bieten müssen, um sich zu behaupten. Aber dann kam Christian Tetzlaff mit einem Zugriff, der durchaus sprachlos machte. Vom ersten Ton an spielte er auf Durchsetzungswillen, ohne jedes Einstiegsgeplänkel oder Warmspielen. Dabei zielte er nicht auf Konfrontation mit dem Orchester - was auch gar nicht Brahms' Absicht gewesen wäre - sondern auf möglichst hohe Augenhöhe. Das kann er nicht mit jedem Orchester und Dirigenten machen. Aber er kennt seine Bremer, und die Bremer kennen ihn. 
Das Ergebnis war eine Musik von an die Grenzen der Erträglickeit gehender Spannung. Denn Tetzlaff spielte ohne jede Rücksicht auf technische Bedenklichkeiten in einer blitzsauberen Klarheit, dass man sich fragte, ob man jemals zuvor schon alle Noten gehört hat. Er forcierte die Tempi, wo es ging (und sinnvoll war) - und das Orchester ging mit. Es war ein phantastisches Zusammenspiel, weil Tetzlaff sehr stark dem Orchester zugewandt spielt, weil beide Seiten bestens aufeinander reagierten, und weil Paavo Järvi den Boden für klare Strukturierungen bereitet hatte, weil durch dynamische und agogische Strukturierungen die in jedem Moment wichtigen Stimmen klar herausgestellt waren. Schon der erste Satz war emotional so aufgeladen, dass die Ersten im Publikum schon applaudierten.
Der Beginn des zweiten Satzes machte unmissverständlich deutlich, auf welchem Niveau da musiziert wurde. Ulrich König blies ein derart intensives Oboensolo in der Stimmung einer aufgeregten Ruhe, dass man ins Grübeln kam, was die Solovioline dazu noch sagen konnte. Aber sie konnte. Tetzlaff nahm diese Stimmung auf und trieb sie weiter in eine unmerklich steigende Unruhe, bis man plötzlich überrascht feststellte, welche Energie die Musik auf einmal entwickelt hatte.
Dass der dritte Satz dann wie ein Wirbelsturm hereinbrach, war letztlich nicht mehr überraschend. Da ließ sich das Orchester von Tetzlaff verleiten, sich auf seine hohen Tempi einzulassen und ihm mit einer kollektiven Virtuosität Paroli zu bieten, die man normalerweise nicht erwarten kann. Der Beifallsturm schloss sich nahtlos an.

Endlich mal keine Strradivari

Etwas fiel übrigens angenehm auf: der etwas andere Klang von Christian Tetzlaffs Geige. Es war einmal nicht der Klang einer der vielen Stradivaris oder anderer italienischer Kreationen aus dieser Zeit, der zum absoluten Schönheitsideal hochstilisiert worden ist. Sondern es ist ein Instrument aus dem 21. (!) Jahrhundert: eine Geige des Bonner Geigenbauers Stefan-Michael Greiner aus dem Jahr 2000. Sie hat nicht nur einen wunderbar klaren Klang, sondern sie muss auch ein phantastisches Ansprechverhalten haben. Sonst wäre die Trennschärfe in den forciert schnellen Passagen so nicht möglich gewesen.
Und noch etwas ging einem durch den Kopf. Natürlich hätte man das Konzert auch gerne mit Janine Jansen gehört. Das wäre natürlich auch toll geworden, aber völlig anders, eher "Feine Linien in Pastell". Einen derart athletischen Zugriff bis zur Bärbeißigkeit hätte man von ihr sicher nicht bekommen.
Als Zugabe und zum Herunterkommen spielte Christian Tetzlaff die ruhigere Gavotte en Rondeau aus der Partita III für Violine solo BWV 1006 von Johann Sebastian Bach.


Weiter wie am Freitagabend

Nicht überraschend, dass die Bremer bei der 3. Sinfonie von Brahms da ansetzten, wo sie bei dem Violinkonzert aufgehört hatte. Auch hier profitierte die Musik (und das Publikum) von der Tatsache, das die virtuose Schmerzgrenze bei den Bremern wesentlich höher liegt als bei anderen Orchestern. Sie war einfach wieder mitreißend musiziert. Schon der Beginn, wo sich nach einem tumultösen Auftakt allmählich die Strukturen und Themen klären, war trotz aller Dichte immer ausgezeichnet durchhörbar und in seiner Weiterentwicklung verfolgbar. Es war auc hier wieder die große klangliche und strukturelle Klarheit, mit der die Bremer spielten, die sinnfällige Kalkuliertheit der Dynamik und der Klangfarben, der unverkrampfte Umgang auch mit den schwierigen Rhythmen vor allem des vierten Satzes. Es war auch für Veteranen der 4. Sinfonie ganz einfach eine umwerfende neue Erfahrung.
Bei den Zugaben setzten die Bremer ihre Reihe vom Freitag fort: mit den Ungarischen Tänzen Nr. 1 und Nr. 10 von Brahms.

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