Neustart in der Tonhalle Maag
Tages-Anzeiger
Susanne Kübler
20.06.2020
Klingt gut, dieses Social Distancing
Dank der Grenzöffnung kann Paavo Järvi seine erste Saison als Tonhalle-Chefdirigent abschliessen. Ganz anders als geplant. Aber genau richtig.
Wie ein Blitz fährt der Schlussakkord des Scherzos in den Saal, Applaus brandet auf – bis sich Paavo Järvi grinsend umdreht und signalisiert, dass es noch ein bisschen weitergehe mit Dvoráks Streicherserenade op. 22.
Es ist eben alles ein bisschen anders als sonst in diesen Kurzkonzerten, mit denen das Tonhalle-Orchester seine Rückkehr in die Nach-Corona-Normalität einleitet. Am Eingang gibt es keine Programmhefte, in denen man die Anzahl Sätze nachlesen könnte, sondern Stoffmasken (ziemlich bequem, mit diskretem Tonhalle-Logo). Und gespielt werden Stücke, die man in Sinfoniekonzerten sonst nicht hört: Dvoráks fünfteilige Serenade eben, die jede Applaus-Gewohnheit aushebelt. Oder davor Jean Sibelius’ hinreissend zärtliche «Rakastava»-Suite.
Paavo Järvi selbst hat ebenfalls die erste Chance gepackt, um dort anzuknüpfen, wo er im März ausgebremst wurde. Am vergangenen Montag gingen die Grenzen auf, am Dienstagmorgen stand er bereits wieder vor dem Orchester. Kurze Begrüssung, zwei Sätze zu den drei Monaten in seiner Londoner Wahlheimat, «so lange am Stück war ich noch nie dort». Dann gings gleich los mit Sibelius, als sei nichts gewesen.
Klar, die Distanz war ungewohnt, und eine Geigerin probte mit Maske. Aber der Klang, die Energie, die Wärme: Die waren sofort wieder da. Und wenn die bebenden Triolen im zweiten Satz mal allzu gleichmässig klangen, musste Järvi nur «Volksmusik» dazwischenrufen – und schon tönte es ganz anders. Leichter, melancholischer, zerbrechlicher. Auf hinreissende Weise beiläufig, aber gleichzeitig in jeder Geste präsent.
Dass Järvi auch zu den Hits des Repertoires eigenwillige Zugänge findet, wird man spätestens dann wieder hören, wenn er die unterbrochene Gesamtaufnahme der Tschaikowsky-Sinfonien fortsetzt. Wann das sein wird? «Wir werden sehen,» sagt er in der Probenpause. Noch ist die Programmierung im Fluss, die Regeln ändern sich laufend; wann die ganz grosse Besetzung wieder möglich sein wird, ist nach wie vor unklar.
Aber das macht nichts: «Flexibilität tut uns gut», sagt Järvi; Hauptsache, man könne wieder spielen. Man gewöhne sich ja an alles, selbst ans Zuhausesein; «aber wie sehr mir das gefehlt hat, die Musik, die Musiker, die Proben: Das habe ich erst jetzt gemerkt.» Dass das keine Floskel war: Das hat man im Konzert in jedem Takt gehört.
Susanne Kübler
20.06.2020
Dank der Grenzöffnung kann Paavo Järvi seine erste Saison als Tonhalle-Chefdirigent abschliessen. Ganz anders als geplant. Aber genau richtig.
Musizieren auf Distanz: Die Tonhalle-Bläser in der Probe mit Paavo Järvi.
Foto: Alberto Venzago
Es ist eben alles ein bisschen anders als sonst in diesen Kurzkonzerten, mit denen das Tonhalle-Orchester seine Rückkehr in die Nach-Corona-Normalität einleitet. Am Eingang gibt es keine Programmhefte, in denen man die Anzahl Sätze nachlesen könnte, sondern Stoffmasken (ziemlich bequem, mit diskretem Tonhalle-Logo). Und gespielt werden Stücke, die man in Sinfoniekonzerten sonst nicht hört: Dvoráks fünfteilige Serenade eben, die jede Applaus-Gewohnheit aushebelt. Oder davor Jean Sibelius’ hinreissend zärtliche «Rakastava»-Suite.
Wartelisten für die Kurzkonzerte
Eigentlich hätte Järvi in diesen Tagen ja Beethovens «Fidelio» dirigieren sollen; es wäre der gewichtige Abschluss seiner ersten Saison als Tonhalle-Chefdirigent gewesen. Zu gewichtig für Corona-Zeiten, grosse Besetzungen sind derzeit nicht angesagt. Weil die Sicherheitsdistanz im Orchester eingehalten werden muss. Aber bis zur Aufhebung der Personenbeschränkung auch aus finanziellen Gründen: Je mehr auf dem Podium sitzen, desto weniger dürfen zuhören.
So teilen sich in diesen Konzerten maximal vierzig Musikerinnen und Musiker die Bühne, die Pulte sind nicht doppelt besetzt wie sonst, sondern einzeln. Auch im Publikum hält man Abstand; das Parkett ist mit Kordeln in zwei Hälften getrennt, Ein- und Ausgänge sind separat, eine Pause gibt es nicht. Nach einer knappen Stunde ist das Konzert zu Ende.
Zwei weitere werden noch folgen an diesem Tag, auch sie sind ausgebucht. Der Name Järvi zieht, das Zürcher Publikum hat «seinen»neuen Chefdirigenten so sehr adoptiert, dass es sich weder von Corona noch von wenig bekannten Werken vom Konzertbesuch abhalten lässt.
Eigentlich hätte Järvi in diesen Tagen ja Beethovens «Fidelio» dirigieren sollen; es wäre der gewichtige Abschluss seiner ersten Saison als Tonhalle-Chefdirigent gewesen. Zu gewichtig für Corona-Zeiten, grosse Besetzungen sind derzeit nicht angesagt. Weil die Sicherheitsdistanz im Orchester eingehalten werden muss. Aber bis zur Aufhebung der Personenbeschränkung auch aus finanziellen Gründen: Je mehr auf dem Podium sitzen, desto weniger dürfen zuhören.
So teilen sich in diesen Konzerten maximal vierzig Musikerinnen und Musiker die Bühne, die Pulte sind nicht doppelt besetzt wie sonst, sondern einzeln. Auch im Publikum hält man Abstand; das Parkett ist mit Kordeln in zwei Hälften getrennt, Ein- und Ausgänge sind separat, eine Pause gibt es nicht. Nach einer knappen Stunde ist das Konzert zu Ende.
Zwei weitere werden noch folgen an diesem Tag, auch sie sind ausgebucht. Der Name Järvi zieht, das Zürcher Publikum hat «seinen»neuen Chefdirigenten so sehr adoptiert, dass es sich weder von Corona noch von wenig bekannten Werken vom Konzertbesuch abhalten lässt.
Abstand halten! Der Einlass in die Tonhalle Maag ist strikt geregelt.
Foto: Alberto Venzago
Besondere Musik für eine besondere Situation
Und die Frische dieser ersten Probe hielt sich bis ins Konzert. Nichts gegen «Fidelio»: Aber einen stimmigeren Saison-Schluss als dieses Sibelius-Stück hätte man sich kaum wünschen können. Weil Järvi schon mit Sibelius gestartet war im vergangenen September (mit der sinfonischen Kantate «Kullervo», auch so eine Entdeckung). Weil eine besondere Situation besonderes Repertoire erfordert. Und weil die Akustik der Tonhalle Maag gerade leisere Musik zum Leuchten bringt – und den Gesamtklang trotz Social Distancing nicht zerbröseln lässt.
Vor allem aber zeigt sich in dieser Kurzkonzert-Serie, welch aufregenden Weg das Tonhalle-Orchester mit Järvi eingeschlagen hat. Sibelius trifft auf Dvorák, Strawinsky auf Strauss und Dukas, Lutoslawski auf Honegger – eine attraktivere «Notlösung» hat derzeit weitherum kein Orchester zu bieten.
Und die Frische dieser ersten Probe hielt sich bis ins Konzert. Nichts gegen «Fidelio»: Aber einen stimmigeren Saison-Schluss als dieses Sibelius-Stück hätte man sich kaum wünschen können. Weil Järvi schon mit Sibelius gestartet war im vergangenen September (mit der sinfonischen Kantate «Kullervo», auch so eine Entdeckung). Weil eine besondere Situation besonderes Repertoire erfordert. Und weil die Akustik der Tonhalle Maag gerade leisere Musik zum Leuchten bringt – und den Gesamtklang trotz Social Distancing nicht zerbröseln lässt.
Vor allem aber zeigt sich in dieser Kurzkonzert-Serie, welch aufregenden Weg das Tonhalle-Orchester mit Järvi eingeschlagen hat. Sibelius trifft auf Dvorák, Strawinsky auf Strauss und Dukas, Lutoslawski auf Honegger – eine attraktivere «Notlösung» hat derzeit weitherum kein Orchester zu bieten.
Flexibilität tut uns gut.
- Paavo Järvi
Aber das macht nichts: «Flexibilität tut uns gut», sagt Järvi; Hauptsache, man könne wieder spielen. Man gewöhne sich ja an alles, selbst ans Zuhausesein; «aber wie sehr mir das gefehlt hat, die Musik, die Musiker, die Proben: Das habe ich erst jetzt gemerkt.» Dass das keine Floskel war: Das hat man im Konzert in jedem Takt gehört.
Weitere Kurzkonzerte gibt es heute Samstag sowie am 25. und 26. Juni. Trotz der erneuten Lockerung der Massnahmen werden nur 240 Zuhörer zugelassen; ab August wird man wieder 460 Plätze besetzen können (mehr sind wegen der Abstandsregeln vorläufig nicht möglich).
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