Alena Baeva bringt die Saiten zum Glühen: Strauss und Berwald mit Paavo Järvi und der Bremer Kammerphilharmonie

Dr. Andreas Ströbl

1. Juli 2023


klassik-begeistert

Photo © Kaupo Kikkas

Franz Berwald
Sinfonie singulière C-Dur

Paavo Järvi, Dirigent
Alena Baeva, Violine
Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

von Dr. Andreas Ströbl

Stürme der Begeisterung löste die Geigerin Alena Baeva am Abend des 29. Juni in der Hamburger Elbphilharmonie aus, als sie mit ihrer Interpretation von Richard Strauss’ Violinkonzert eine atemberaubende Leistung präsentierte.

Doch der Reihe nach – zuvor gab es vom selben Komponisten das für Streichorchester arrangierte Sextett aus seiner späten Oper „Capriccio“. Eine interessante und spannungsreiche Kombination, liegen doch zwischen diesen beiden Werken 60 Jahre. Die inhaltliche und musikalische Unbeschwertheit dieser späten Komposition ist beispielhaft für Strauss und seine schwer begreifbare Mischung aus der Unterstützung des NS-Regimes an kulturpolitisch vorderster Stelle und einer schon peinlich anmutenden Naivität. 
Während der Weltkrieg tobt und die Massenvernichtung an den Juden bereits voll angelaufen ist, bejubelt das Münchner Opernpublikum das „Konversationsstück für Musik in einem Akt“ am 28. Oktober 1942. Die Musik ist eingekuschelt in spätromantische Schwelgerei und ja, sie ist voller reizvoller Veränderungen und Weiterentwicklungen des charakteristischen Fünfton-Motivs mit den typischen, modulierenden Linien der Melodik und den Dur-Moll-Wechseln.

Die Bremer spielen das Stück ausgesprochen anmutig und trotz der reduzierten Anzahl an Mitwirkenden erklingt die Komposition füllig und raumgreifend. Mit Paavo Järvis gemessenem, seriösem Dirigat wäre Strauss sehr einverstanden gewesen – er selbst bewegte ja beim Dirigieren ungerne mehr als einen Arm und den auch sehr zurückhaltend. Järvi steht meist fest und arbeitet fast nur mit Armen und Oberkörper; er vermittelt das Bild eines Dirigenten alter Schule, der sich völlig uneitel in den Dienst der Aufführung stellt.

Das zwischen 1881 und 1882 entstandene Violinkonzert steht als Jugendwerk noch ganz in der romantischen Tradition des 19. Jahrhunderts und mag es nicht ein absolutes Meisterstück von Strauss sein, so macht die kirgisische Geigerin Alena Baeva es zu einem solchen.

Nach dem dramatischen Fanfarenmotiv zu Beginn und der lyrisch klagenden Flötenmelodie bereiten die Streicher des nun erweiterten Orchesters ein breit angelegtes, symphonisches Feld, aus dem die Violine mit markantem Flageolettstrich schnell und selbstbewusst emporstrebt.

Alena Baeva lebt ihr Spiel mit dem ganzen Körper aus, sie biegt und dreht sich wie eine junge Birke, Spannung und Entspannung wechseln einander in rascher Folge ab, manchmal ist man eine Figura serpentinata aus der Spätrenaissance erinnert. Das alles wirkt aber überhaupt nicht manieriert oder aufgesetzt, sie geht ganz in ihrer Kunst auf; die Töne fließen fein und klar ineinander, ohne dass die Klangfolgen indifferent werden.

Grazil wie die Musik ist ihr hochvirtuoses Spiel, aber verliert sich nicht in Selbstdarstellung, sondern sie behält beständig den Dialog mit dem Orchester bei. Konzertmeisterin Sarah Christian ist dabei eine ihrer ersten Anspielpartnerinnen, aber der ganze Klangkörper ist absolut harmonisch und ausgewogen. Eine wahre Freude ist das Hinsehen und -hören und dem entspricht die enge Verbundenheit aller Mitwirkenden. Järvi muss nicht viel tun, denn das läuft alles von selbst und zwar mit Präzision und Hingabe.

Manchmal scheint die Geigerin den von ihr dem Instrument aus dem Jahre 1738 entlockten Klängen nachzusehen und wer genau hinschaut, kann sie im großen Saal entdecken, mit schillernden blauen Flügeln wie von tropischen Schmetterlingen. Dann wieder haut sie mit entschiedenem, ja hart gebürstetem Strich einen Ton zu Boden und sieht ihn an wie einen roten Farbfleck.

Wie klare Bächlein entfließen die raschen Läufe ihrer Hand, bei allem Temporeichtum findet sie aber immer wieder zu einer aufrechten Ausgangshaltung zurück.

Leider klatscht das Publikum nach diesem Satz und stört so die vorbereitende Ruhe auf das langsame lento ma non troppo. Man ist der Leitung der „Elphi“ sehr dankbar, dass endlich ein Hinweis im Programmheft steht, doch bitte nicht zwischen den einzelnen Sätzen zu applaudieren, aber das ist kleingedruckt und, wie ein Konzertbesucher in der Pause bemerkt, die Leute wissen ja oft nicht, was das überhaupt bedeutet. Nun wollen wir uns nicht in elitärer Schnöselei verlieren – es wird sich durchsetzen müssen, dass Dirigentinnen und Dirigenten klare Handzeichen geben, um klarzumachen, dass jetzt bitte Stille herrschen möge.

So muss der Satz etwas mühsam in seine gemächliche Ruhe finden, in der sich wie ein Lied ohne Worte eine sanfte Melodie den Weg bereitet, die Hörner schlagen einen optimistischen Ton an. In gemächlichem Erzählduktus wird der Satz weitergeführt, um schließlich in sanfter Intimität zu enden. Järvi hat das Klatschen noch im Ohr, denn attacca! setzt er gleich geistesgegenwärtig den Finalsatz an.

Den beherrschen schnelle Läufe der Violine wie kleine, emsige Insekten, die sich eilends und mit kräftigen Strichen in die Höhe schrauben. Das Orchester nimmt die Dynamik auf und mit der gleichen Akkuratesse und Leidenschaft jagt es mit der Solistin dem fulminanten Finale zu. Man hat Angst, dass die Geige Feuer fängt, denn die Saiten müssen mittlerweile glühen. Nach einem kurzen elegischen Innehalten findet das Stück zu einem glanzvollen Ende und der Jubel setzt sofort ein. Eine phantastische Darbietung, die diejenigen nicht vergessen werden, die dabei sind und sich eine Zugabe erklatschen.

Foto Dr. Andreas Ströbl

Die Violinistin spielt das „Polnische Capriccio“ der Komponistin Grażyna Bacewicz, ein kurzes Stück, dessen Reiz in der Kombination von Wehmut und aufjagender Lebensfreude liegt. Auch dafür gibt es begeisterten Beifall.

Den zweiten Teil des Konzerts bestreitet die „Sinfonie singulière“ des Schweden Franz Berwald. Dieser eigenwillige Komponist hat sich auch in diesem 1845 entstandenen Werk bewusst gegen die vorherrschende romantische Vorliebe für emotionale Themen ausgesprochen. Während die meisten übrigen Tonkünstler Europas dem mehr oder weniger leisen Schmerz der Existenz in ihren Kompositionen Raum gaben, hielt Berwald sich lieber an klassische Formen und inhaltlich an zurückhaltende Ausdrucksmöglichkeiten. Er spielt mit romantischen Anklängen, aber verliert sich eben nicht darin.

Das kennzeichnende Quart-Motiv des ersten Satzes wird von einer Instrumentengruppe nach der anderen aufgenommen und weitergeführt, nach einer fast beschaulich-idyllischen Tonsprache gerät das tutti entschieden und wie ein junges Pferd nimmt das Ganze schnell Fahrt auf. Die Blechbläser intonieren ihr charakteristisches, forderndes Thema und spornen gleichsam die anderen Mitwirkenden zum raschen Lauf an.

Diese Musik will vielleicht in der programmatischen Abgrenzung zur Romantik klassisch wirken, ist aber überhaupt nicht steif, sondern mitunter ausgemacht humorvoll; kleine Ausflüge in Moll-Tonarten und einige Härten machen klar, dass es hier nicht um Spielerei geht. Das erneut um Mitwirkende erweiterte Orchester spielt auch dieses Stück wunderbar abgestimmt und souverän, Järvi dirigiert mit sichtbar mehr Einsatz.

Wiederum stört Zwischenklatschen die Vorbereitung der angedeuteten Melancholie des zweiten Satzes, die bald durch ein Gewittergrollen abgelöst wird. Ein heftiger Paukenschlag, der Haydn gefallen hätte, reizt manche aus dem Publikum zum Lachen. Nun ja, das ist auch ein humoriger Einfall, der so seine Wirkung nicht verfehlt. Die vermeintliche Idylle flirrenden Lichts wird durch harte Bass-Akzente aufgelöst und eine plötzliche, lange Generalpause scheint zu fragen: „Und – was jetzt?“ So scherzt Berwald mit romantischen Attitüden und macht sich über seine schwermütigen Zeitgenossen lustig.

Foto Dr. Andreas Ströbl

Wiederum attacca schnappt der Einsatz zum Finalsatz zu und der geht vom Tempo her gleich in die Vollen. Es ist wie eine plötzliche Bö, die in das Segel eines kleinen Bootes schlägt und es zu rascher Fahrt bringt. Auf Staccato-Elemente folgen fließende Stellen, auf jähe Einwürfe der Holzbläser antworten Flöten mit markanten Höhen, die Pauken hauen immer wieder in das, was sich möglicherweise zu nett gestalten könnte. Und schließlich leuchtet im Finale ein goldener Ton.

Als Zugabe und Dank für den langanhaltenden Beifall schenkt Paavo Järvi dem Publikum die witzige Tritsch-Tratsch-Polka von Johann Strauß und in der beweist der würdige Este, dass auch er Humor hat, denn jetzt geht er – für seine Verhältnisse – ganz aus sich heraus und lässt die Puppen Polka tanzen.

Ein sehr besonderer Konzertabend mit einer speziellen Mischung, dargeboten von einer phantastischen Solistin, einem herausragenden Orchester und einem Gentleman-Dirigenten von Weltrang!

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