Ein Glücksfall für Bremen – und für Haydn

Kreiszeitung Syker Zeitung

 09.12.2023

MICHAEL PITZ-GREWENIG


Bremen – Der Dirigent Paavo

Järvi ist noch immer eine

Ausnahmeerscheinung und für die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein Glücksfall. Umgekehrt gilt es wohl auch. Mittlerweile arbeitet man an einer Neuaufnahme der „Londoner Sinfonien“ von Joseph Haydn.

Nachdem man sich die Beethoven-Sinfonien erarbeitet hat, nähert man sich Haydns

Sinfonien sozusagen auf Augenhöhe und tut sie nicht einfach als Vorläufer ab.

Deutlich zu hören ist das beim 3. „Hanse I-Abonnementkonzert“ im großen

Saal der Glocke mit dem vielsagenden Titel „Shakespeare of Music“. Hintergrund ist,

dass Haydn in England großes Ansehen genoss. In Oxford wurde er 1792 zum Dok-

tor der Tonkunst ernannt.Sein Kollege Georg Friedrich Händel weilte 30 Jahre in

England, ohne dass ihm diese Ehrung zuteilwurde.

Das 3. „Hanse-Konzert“ präsentierte in der Tat einen bedeutsamen Abend mit drei

Haydn-Sinfonien, der mit konventionellen interpretatorischen Vorstellungen aufräumte. Das begann schon

mit dem Programm. Haydns Londoner Sinfonien sind ausgesprochen geistreiche musikalische Kabinettstücke, viel freundliche Stimmung, Spielfreude, die kompositorische Erfahrung summierend und transformierend, zurückblickend und vorausschauend zugleich. Hierzu gehört ein deutig die Sinfonie Nr. 102 in B-Dur. Haydn hat für Orchester niemals verschlungener, halsbrecherischer komponiert. Und was Järvi und die Kammerphilharmonie daraus machten – exemplarisch bis in die kleinsten Verästelungen hinein – war in der Tat ein Ereignis. Während andere Dirigenten ehrfürchtig um das Denkmal „Haydn“ lustwandeln und ihn so zu einer historisch überholten Stelle werden lassen, die allenfalls fürKlangarchäologen interessant ist, muss man sich bei Järvi erst einmal von alten Hörgewohnheiten tren-

nen. Bezüglich der Tempi riskant angelegt, überzeugte seine Interpretation durch

fulminante Musikalität und stupende Stilsicherheit,

durch die Järvi eine nahezu vollkommene Ausbalancierung und klangliche Transparenz erreichte. Was auch der Tatsache geschuldet war, dass die Kammerphilharmonie klanglich eine intelligente Mischung von alten und neuen Instrumenten lieferte.

Paavo Järvi deckte auch in den Sinfonien Nr. 95 und Nr.97 verschlungene Zusammenhänge auf, die die Werke wie aus einem Guss erscheinen ließen, aber auch die Risse, die rhythmischen Verschiebungen, die scharfen Dissonanzen nicht zudecken.

Ein Panorama zwischen Beseeltheit, Grazie und Tornado. All das galt natürlich auch für die überaus geschmackvoll ausgeführte Ouvertüre zu „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart mit ih-

rer stellenweise überaus komplexen Rhythmik.Klangkultur und Schattierungskunst bewegten sich auf höchstem Niveau. Wie Järvi dabei die Mittelstimmen in allen Variationen als verbindendes Glied herauskristallisierte, war phänomenal. Als Zugabe gab es die Serenade Op.3, No. 5 „Andante cantabi-le“ von Haydn.

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