Senkrechtstarter sorgte für vergnügte Überraschungen

12.12.23

Hamburger Abendblatt

Helmut Peters

Der Dirigent Paavo Järvi und die Kammerphilharmonie   

Bremen brachten einen besonderen Pianisten mit


Hamburg. Es musste für die Studierenden

der Kölner Musikhochschule an deren

StandortWuppertal schonklasse gewesen

sein, als ihnen 2020 mit dem in Bonn ge-

borenen Pianisten Fabian Müller ein Kla-

vierprofessor gegenübertrat, der nur weni-

ge Jahre älter war als sie selber. Damals

war er gerademal30undwurde erstindie-

sem Jahr vonder erst 27 Jahre altenJunior-

professorin für Applied Microeconomics

Alicia von Schenk als jüngste Professorin

Deutschlands mit einer so frühen Beru-

fung überholt.

Paavo Järvi und seine Deutsche Kam-

merphilharmonie Bremen hatten den von

vielen internationalen Orchestern um-

worbenen Senkrechtstarter und Gründer

eines eigenen Kammerorchesters am

Sonntag alsSolistenvonLudwig van Beet-

hovens Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15

mit in die Elbphilharmonie gebracht. Und

wer das bis heute revolutionäre Beetho-

ven-Projekt dieses Orchesters kennt,

wusste schon im Voraus, auf welche Über-

raschungen er sich dabei einstellen durfte.  



Natürlichwaren bei den Bläsern die his-

torischen ventillosen Naturtrompeten

und Holz- anstelle silberner Böhmflöten

im Orchester besetzt. Jede Note und jede

kleinste Phrase wurden in der schwung-

voll anhebenden Orchesterexposition

perfekt ausgeformt.

Die Crescendi und die Akzente waren

so scharf konturiert, dass das erste Kla-

viersolo Müllers danach fast ein wenig zu

brav und zurückhaltend wirkte. Das än-

derte sich allerdings schnell, als der Solist

im weiteren Verlauf einzelne Betonungen

deutlich kräftiger und zuweilen mit klei-

nen Verzögerungen herausarbeitete.

Nicht nur Järvi war körperlich in voller

Fahrt und trat bei dem Orchestertutti vor

der fünf Minuten langen Solokadenz des

Kopfsatzes, mit der Beethoven den Rah-

men der klassischen Konzertform spreng-

te, einmal kräftig mit dem Fuß auf. Auch

Müller benutzte seinen linken Fuß, um

mit zitternd-wippenden Bewegungen

einen extrem schnellen Triller derrechten

Hand anzuheizen.


Das Thema des Largo-Satzes sang er

förmlich auf den Tasten und ließ sich von

der sprudelnden Lebendigkeit der Kam-

merphilharmonie im Finale nur so mitrei-

ßen. Zur Überraschung aller kündigte er

als Zugabe das Wiegenlied von Johannes

Brahms an und bat das Publikum sogar

darum mitzusummen.

Diese vergnügte Stimmung passte auch

zu Joseph Haydns Londoner Sinfonien C-

DurHob:97und B-DurHob.I:102,diedie

Deutsche Kammerphilharmonie mit

einem Witz und einer ungeheuren dyna-

mischen Variationsbreite spielte. Den Hö-

hepunkt bildete im Adagio der C-Dur-Sin-

fonie eine Art Super-Pianissimo, bei dem

die ersten Geigen das Thema nur noch zu

flüstern schienen. Nachihrem Beethoven-

Projekt ist für die Bremer ein Haydn-Pro-

jekt mit allen 104 Sinfonien nun aber

wirklich an der Zeit.

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